Sortieren, Sammeln, Suchen, Spielen. Die Datenbank als mediale Praxis
Der vorliegende Band versammelt die Vorträge der Abschlusskonferenz des Forschungsprojekts „Strategie spielen“, das bis 2011 am Institut für Medienwissenschaften der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig beheimatet war. Die Datenbank wird hier als „eine der zentralen Instanzen, über die sich ein spezifischer Rationalitätsbegriff in unsere digitale Kultur einträgt“ (S. 9), in den Blick genommen.
Einer der wichtigsten Bezugspunkte des Bandes – dies zeigt sich ebenfalls in vielen der Beiträge – ist damit schon angedeutet: Lev Manovichs prominente Arbeiten zu den Neuen Medien und ihrer Datenbanklogik. Bekanntlich geht es Manovich darum, die Datenbank im Anschluss an Erwin Panofsky als eine neue, für digitale Medienkulturen verbindliche „symbolische Form“ zu entwerfen, die maßgeblich Erfahrungen strukturiert. Von diesem Absprungpunkt aus nimmt sich der Band vor, nach medialen Praxen zu fragen, die an Datenbanken anknüpfen. Diese soll so als „kulturelle und informatorische Grammatik“ in den Blick geraten, die z. B. durch die Ordnungsmuster, die sie in die Dinge einschreibt, oder die Aufmerksamkeiten, die sie lenkt, „spezifische Sichtbarkeiten und Subjektivierungseffekte“ (S. 10) zeitigt.
Als Raster schlagen die Herausgeber die vier Praxistypen vor, die den Titel des Bandes ergeben und die unterschiedliche Aspekte der Datenbank hervortreten lassen sollen. Datenbanken – so wird hier betont – sind keine neutralen Gebilde. Sie „sortieren“ Elemente, die zuvor erst durch die Anwendung von ausgewählten Taxonomien erzeugt werden müssen, und implementieren damit „Politiken der Distinktion und Definition“ (S. 12). Aufgrund vorentschiedener Kriterien werden Daten inkludiert, exkludiert und in eine Ordnung gebracht, der sich wiederum die Nutzer einer Datenbank unterwerfen müssen. Insofern sind Datenbanken auch immer „Teil und Ausdruck einer spezifischen Rationalität“ (S. 12). Mit dem an Benjamin angelehnten Begriff des „Sammelns“ wird darüber hinaus deutlich gemacht, dass Datenbanken nicht das Ergebnis selbstloser Tätigkeiten sind. Vielmehr ist ihnen, indem sie eine „Verfügungsgewalt über die Dinge (also sie ihrem Kontext zu entreißen und in der Datenbank erstarren zu lassen)“ behaupten, eine „operationale Machtfunktion“ (S. 13) immanent. Auf den Praxen des Sortierens und Sammelns, die sich in die Datenbanken einschreiben, setzt das „Suchen“ auf. Diese im Umgang mit digitalen Medien ubiquitäre Praxis tritt häufig mit einem Versprechen der Neutralität des Verfahrens auf. Gesucht werden kann dann jedoch nur das, was gesammelt, sortiert und damit auffindbar gemacht wurde. Datenbanken sind also, so die Prämisse, nicht interessenlos, sondern haben „zumindest eine ökonomische, wenn nicht gar eine politische Komponente“ (S. 14). Hieran schließt sich die scheinbar unschuldige Praxis des „Spielens“ an. Computerspiele sollen beispielhaft für das „Spannungsverhältnis zu Subjekt und technischen Medien“ einstehen, das sich durch die „latente Unsichtbarkeit und Naturalisierung“ (S. 15) der Datenbanken in ihren implementierten Formen ergibt. Die Herausgeber gehen davon aus, dass sich die zuvor identifizierte „spezifische Rationalität“ der Datenbank in Spiele einschreibt und diese damit „ins Feld des Ökonomischen“ (S. 18) eingebunden werden. Auswertbarkeit, Vergleichbarkeit und daran anschließende Praxen der spielerischen Selbstoptimierung stellen das Computerspiel in den Kontext des Neoliberalismus.
Die erste Sektion mit dem Titel „Genealogie & Archäologie der Datenbank“ nimmt sich die geschichtliche Verortung der Datenbank vor. Lena Christoleva stellt in ihrem Beitrag eine Station der Vorgeschichte der Datenbank vor. Am Mundaneum, dem vom Paul Otlet und Henri La Fontaine in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts unternommenen Bibliotheksprojekt, zeigt sie, dass dieses bereits „alle Merkmale [enthält], welche die Datenbank zum Zentralelement einer modernen Wissenskultur avancieren lassen: klar definierte Elemente und Ontologien der Datensätze sowie Hierarchien, die taxonomischen Regeln unterliegen“ (S. 50). Schon vor der Digitalisierung kann das Mundaneum als Beispiel einer flexibleren, netzwerkartigen Wissensordnung dienen, die die hierarchischen Systeme ablöst und die in aktuellen Theoretisierungen so spezifisch für die Datenbank erscheint.
Marcus Burkhardt wiederum geht dem „Ursprung digitaler Datenbanken im Managementdiskurs und im Diskurs der bibliothekarischen Informationsverwaltung“ (S. 56) nach. Ziel soll es sein, der Debatte um Materialität und Immaterialität digitaler Daten eine produktive Wendung zu geben. Und tatsächlich kann er durch seine Rekonstruktion zeigen, dass die angenommene Immaterialität von Daten weder wesenhaft noch bloßer Schein ist, sondern Effekt einer „Entkopplung der Informationsverarbeitung von ihrer Verwaltung“ (S. 57), die historisch und damit kontingent ist.
Theo Röhle widmet sich dem Einsatz, den Datenbanken in den Kulturwissenschaften findenEs geht ihm vor allem darum, die affirmativen Zuschreibungen, die die Digital Humanities erfahren, in einen historischen Kontext zu stellen und damit zu relativieren. An der Verwendung computergestützter Praxen in den Literaturwissenschaften, beginnend mit der Erstellung einer Konkordanz der Schriften Thomas von Aquins durch Roberto Busa (dem Index Thomisticus) bis hin zu modernen textstatistischen Verfahren, zeichnet Röhle nach, welche Erwartungen an die Verfahren geknüpft werden. Es zeigt sich, dass es keine „übergreifende Entwicklungslogik“ etwa hin zu rein quantifizierenden Logiken gibt, sondern im historischen Verlauf die Betonung von entweder „objektiver Übersicht“ oder „kreativer Rekombination“ (S. 90) immer wieder neu ausgehandelt wird.
Uwe Wippich verortet im letzten Beitrag der Sektion Datenbanktechniken in biopolitischen Zusammenhängen. Am Eugenics Record Office der USA im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts führt sein Beitrag vor, dass „die eugenische Optimierung der Bevölkerung als politische Strategie Methoden der Datenbank“ (S. 98f) voraussetzt. Eigenschaften von Lebewesen werden im Zuge der eingesetzten Praxen zu „medialen Markierungen“ und damit zu „Datenbankereignissen“ (S. 99) gemacht, die Maßnahmen wie Zwangssterilisierungen ermöglichen.
Die zweite Sektion „Die Politiken der Datenbank“ wird durch einen Beitrag von Martin Warnke eröffnet. Er legt dar, dass die Erwartungen von Freiheit und ungehinderter Kommunikation notwendig im Widerspruch zu der skalenfreien Netzwerkstruktur des Internets stehen, bei der sich zentrale, große Knoten bilden müssen. Diese Hauptknoten und ihre Datenbanken, die „Zitadellen im Web 2.0“ (S. 134), halten das Web und seine Funktionalität überhaupt aufrecht, was ihnen im Gegenzug erlaubt, „Diskursmacht“ (S. 135) auszuüben.
Harald Hillgärtner betrachtet in seinem Beitrag die offene Datenbank Open-Street-Map. Er versucht Datenbanken „zunächst nicht in erster Linie als steuerungs- und machtpolitische Instanzen zu verstehen“ (S. 141), sondern ihren epistemologischen Charakter zu betonen. Auf diese Weise gelangt er zu der Darstellung einer Datenbankpraxis, die deren wissenssynthetische, produktive Seite hervorhebt, ohne den universalisierenden Vereinnahmungsanspruch der Datenbank als deren „mediale[n] Imperativ“ (S. 154) aus dem Blick zu verlieren.
Eine Ambivalenz im Umgang von journalistischen Medien mit datenbankbasierten Netzmedien beobachtet Tobias Conradi. Auf der einen Seite wird die Unmittelbarkeit der nutzergenerierten Daten betont, auf der anderen Seite inszenieren sich die Redaktionen jedoch als Gatekeeper, die notwendige Funktionen der Überprüfung und Bewertung erfüllen. Die Datenbank arbeitet in diesen Rhetoriken als „Authentizitätsgenerator im Hintergrund“ (S. 175), im Vordergrund verbleibt die selbstlegitimierte Arbeit der Journalisten.
Die Einschreibung von Risiko- und Sicherheitsdiskursen in Computerspiele untersuchen Julius Othmer, Stefanie Pulst und Andreas Weich am Beispiel von World of Warcraft. Die ludischen Praxen der User haben sich weitestgehend von den narrativen Inhalten entkoppelt und haben sich „rationalen Datenbankabfragen“ (S. 193) zugewandt, die zur Basis spielimmanenten Handelns werden. Das Computerspiel wird so zum Risikomanagement und dem „Spieler implizit Orientierungswissen zum adäquaten Handeln in der Risikogesellschaft vermittelt“ (S. 183).
Die dritte Sektion wendet sich aktuellen „Praktiken der Datenbank“ zu. Den Auftakt machen aktuelle Fankulturen, deren fester Bestandteil Datenbank sind. Felix Raczkowski zeigt, wie in Fan-Wiki komplexe Narrationen etwa von Fernsehserien handhabbar gemacht werden und damit zugleich ausgehandelt wird, was als Wissen in einen Kanon eingeht. Der Umgang mit Datenbanken erscheint in diesem Kontext als „eine kulturelle Praxis mit dem Potential, Rezeptions- und Produktionsbedingungen sowie Fankulturen nachhaltig zu beeinflussen“ (S. 227).
Georg Sandkühler sondiert in seinem Beitrag die Rolle von Datenbanken in Strategie-Computerspielen. Stellten frühere Spiele noch die „vollständige Immersion in das Spielgeschehen“ zu Ungunsten der in einer „Black Box“ (S. 240) versiegelten Datenbank in den Vordergrund, scheint sich dieses Verhältnis im Laufe der Zeit umgekehrt zu haben. Neuere Spiele heben die Trennung der repräsentativen Ebene des Spiel-Interfaces und der zugrunde liegenden Datenbank in Karten-Editoren zunehmend auf. Auf der Ebene der Spielpraxis vermischen sich dabei Programmierung und Datenbanknutzung mit herkömmlichen Elementen des Spielerischen.
Den sich aus Datenbankpraxen ergebenden Subjekteffekten wendet sich Ralf Adelmann in seinem Beitrag zu. Er argumentiert, dass sich aus dem Umgang zwei auf den ersten Blick widersprüchliche Subjektrealitäten ergeben: auf der Ebene der Datenbankstrukturen die eines fragmentierten, zerstreuten Subjekts und auf der Ebene der Interfaces die eines handlungsmächtigen, kohärenten Subjekts. Darin, dass sich diese Subjektpositionen in Datenbankpraxen jedoch wechselseitig bedingen und sich im „Wechselspiel“ befinden, liegen laut Adelmann „die Potentiale des Vergnügens und der Lust, welche die Nutzung von Datenbanken begleiten können“ (S. 265).
Ob und wie Datenbanken neues Wissen produzieren können, untersucht Irina Kaldrack am Beispiel von Bewegungsdatenbanken. In einer historischen Rekonstruktion zeichnet sie nach, wie sich in ihrem Untersuchungsobjekt, dem BMLwalker, statistische Verfahren und künstliche Intelligenz überkreuzen. Die auf diese Weise aus den Dateneingaben erzeugten Bewegungsrepräsentationen werden den Benutzern zur Bewertung vorgelegt. So werden neue Datensätze erzeugt, die wiederum ausgewertet werden können.
Florian Krautkrämer diskutiert den Datenbankbegriff in filmtheoretischen Diskursen. Im Gegensatz zum Database Cinema, das Veränderungen in Bezug auf Narration, Distribution und Rezeption mit sich bringt, ist es Krautkrämer darum getan, die Rolle der Datenbank als Metapher nachzuzeichnen, die bestimmte ästhetische Konstruktionsprinzipien in den Vordergrund stellt. Die „spezielle Datenbankästhetik“, die sich besonders in Beispielen aus dem europäischen Autorenkino seit den 60er Jahren zeigt, äußert sich „in einer Betonung der Oberfläche des Bildes“ (S. 310).
Im abschließenden Beitrag des Bandes betrachten Christian Huberts und Robin Krause die ästhetischen Verfahren und Objekte, die sich an den Einsatz von Datenbanken in Computerspielen ergeben. Sie zeichnen an Beispielen nach, wie sich Datenbanken von Spielen entweder lediglich ornamental genutzt werden oder sie von funktionaler Bedeutung für die Spielmechanik sein können.
Insgesamt gelingt es dem Band, die zuvor behauptete – und wohl kaum zu bestreitende – Ubiquität der Datenbanken in den versammelten Beiträgen abzubilden und ihr damit gerecht zu werden. Die Zugriffe aus verschiedenen Perspektiven und auf verschiedene Objektsphären lassen die Bedeutung deutlich werden, die Datenbanken in den jeweils wirksamen Verstrickungen der gewählten heuristischen Dimensionen – „Sortieren“, „Sammeln“, „Suchen“, „Spielen“ – für aktuelle lebensweltliche Praxen haben. Zur kulturwissenschaftlichen Untersuchung der Datenbanken ist damit ein spannender Beitrag gelungen, der sich auf zentrale Positionen dieses Feldes – wie die des schon genannten Lev Manovichs oder David Gugerlis – zwar immer wieder bezieht, diese aber auch durchaus kritisch hinterfragt und ergänzt. Beispielhaft kann hierfür die historische Sektion des Bandes einstehen, deren Beiträge auf alternative Pfade und Bewertungen sowie auf blinde Flecken der Mediengeschichte der Datenbanken hinweisen. Problematisch ist gelegentlich, dass in den meisten Aufsätzen unter dem Begriff der „Datenbank“ im Detail voneinander abweichende Phänomene gleich behandelt werden. Spezifische Unterschiede zwischen den technischen Implementierungen und ihren Implikationen, die es eventuell im Rahmen der jeweils gewählten Fragestellung in den Blick zu nehmen gälte, werden so nivelliert.
März 2013
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