Open Access
Annette Schüren zu einer weiteren Option für wissenschaftliches Publizieren in den Geisteswissenschaften
Der Gedanke, auf ganze Bibliotheken im Internet ohne Schranken Zugriff haben zu können, ist bestechend und kann bei Input-Jäger_innen Glücksgefühle auslösen. Wir haben im Schüren Verlag von Anfang an konsequent die Möglichkeiten genutzt, die Digitalisierung bei der Herstellung und technische Innovationen beim Druck anzubieten und können uns kaum darüber beschweren, dass auch die Leser_innen die neuen Möglichkeiten nutzen und eBooks lesen. In diesem Beitrag geht es in erster Linie um wissenschaftliche Veröffentlichungen. Es ist gut, dass wissenschaftliches Publizieren auf verschiedenen Wegen stattfinden kann. Gerade im medienwissenschaflichen Bereich sind ‹enhanced eBooks›, also Publikationen, die auf audiovisuelle Medien verlinken, eine echte Bereicherung.
Open-Access-Publikationen sollen Leser_innen nichts kosten: Nicht die Content-Nutzer_innen sollen zahlen, sondern allein die Anbieter_innen, direkt oder mit Zuschüssen von dritter Seite.
In den Geisteswissenschaften hat es Open Access schwerer
Im STM1-Bereich verantworten drei Verlage etwa 30% der OA-Veröffentlichungen, aber binden damit 60% des Etats der Bibliotheken.2 Damit belasten sie die Lage anderer Verlage, deren (Print-)Publikationen, auch Zeitschriften, nicht mehr eingekauft werden können.
In den Geisteswissenschaften ist die Lage anders, Open Access hat sich noch nicht so weit durchgesetzt, viele Wissenschaftler_innen bevorzugen im Bereich der Monographien gedruckte Werke. Auch die Verlagslandschaft ist etwas breiter gefächert, und es besteht die Chance, faire Modelle zu entwickeln.
Was bietet der Schüren Verlag an?
Unser Programm ist nicht rein wissenschaftlich, d. h. wir veröffentlichen thematisch passende Titel als wissenschaftliches Werk oder als populäres Sachbuch. Wir pflegen noch das klassische Vertriebsmodell mit dem Buchhandel als Partner und einem Vertreternetz. Natürlich erfordert der Vertrieb von wissenschaftlichen Titeln besondere, darüber hinaus gehende Maßnahmen, etwa Stärkung des Direktvertriebs sowie besondere Informationswege über Social Media Plattformen, Newsletter und Pressearbeit.
Darüber hinaus bieten wir eine gute typographische Gestaltung unserer Bücher, weil wir in der Regel den Satz selbst machen. Das visuelle und haptische Erlebnis unserer Publikationen ist uns wichtig, dies gilt für die gedruckte ebenso wie für die elektronische Ausgabe. Zusammen mit unseren Autor_innen suchen wir die beste Lösung für jedes Buch.
Wir möchten unseren Autor_innen eine gute und zuverlässige Möglichkeit bieten, ihre Werke, wenn gewünscht, auch unter CC-Lizenz zu veröffentlichen, wobei für uns eigentlich nur die CC-BY-NC-SA Lizenz in Frage kommt, denn es ist nicht einzusehen, dass jemand anderes parallel eine kommerziell vertriebene Ausgabe des Werks herstellen darf.
Genau wie gedruckte Bücher müssen OA-Publikationen zitierbar, auffindbar und dauerhaft verfügbar sein, und dafür scheint die Zusammenarbeit mit einem Fachrepositorium wie media/rep/ von 24 Monaten die zuverlässigste Lösung zu sein, weil diese Plattformen auch den Nutzer_innen einen gewissen Qualitätsstandard garantieren.
Unsere Open-Access Vorgehensweise
Zunächst muss man zwischen Büchern und Zeitschriften differenzieren. Wir haben reine OA-Zeitschriften im Programm, Medienwissenschaft Rezensionen und das Journal for Religion, Film and Media. Diese Zeitschriften sind peer reviewed, erheben aber zur Zeit keine APCs (article processing charge). Parallel bieten wir eine kostenpflichtige Printausgabe an.
Andere Zeitschriften wie montage/av und AugenBlick sind nach Ablauf einer Sperrfrist von 24 Monaten auf den jeweiligen Websites der Redaktionen oder auf media/rep/ kostenlos downloadbar.
Im Bereich der Monographien war der erste Schritt das Hochladen vergriffener Titel – natürlich mit Einverständnis der Autor_innen – auf das medienwissenschaftliche Repositorium media/rep/, bzw. auf unsere eigene Website.
Bei Neuerscheinungen haben wir Schriftenreihen, die eine OA-Veröffentlichung zwingend verlangen, etwa die Zürcher Filmstudien, soweit sie vom SNF (Schweizerischer Nationalfonds) gefördert wurden, und andere Publikationen, bei denen es die Autor_innen wünschen. Bei wissenschaftlichen Publikationen ist in der Regel ein Druckkostenzuschuss nötig, und dieser Druckkostenzuschuss muss dann an eine kleinere Verkaufsauflage angepasst werden, denn den Sirenengesängen, dass eine OA-Publikation auch den Verkauf des gedruckten Buches beflügelt, mag ich nicht so recht folgen.
Trotz der grundsätzlichen positiven Einstellung und der Einsicht in die Chancen, die online auffindbare Literatur bietet, kann ich den ganz großen Hype nicht teilen. Ich möchte kurz einige Gedanken dazu skizzieren:
Open Access gewährt freien Zugang zu wissenschaftlichen Arbeiten für jeden
Ja, waren denn wissenschaftliche Publikationen vorher unfrei? Jedenfalls nicht bei uns. Man musste halt in die Bibliothek gehen. Es sollte also besser heißen: OA gewährt bequemen Zugang.
Frei heißt nicht umsonst
Mal abgesehen von APCs und BCPs (article processing charges /book processing charges), die durch Zuschüsse etc. letztendlich von den Bürger_innen aufgebracht werden, verbrauchen die Server viel Strom und Kosten für Wartung, hinzu kommen die PCs und Lesegeräte. Mich würde mal interessieren, wie die Ökobilanz einer OA-Publikation gegenüber einer Print-Publikation aussieht.
Datensicherheit
Ein einzelnes Buch kann verbrennen oder verloren gehen, dann gibt es aber vielleicht noch andere. Aber wie sieht es mit der Datensicherheit von elektronischen Büchern aus? Welche GAUs könnten der Bestand des Weltwissens gefährden?
Informationsflut
Schon zu meiner Studienzeit neigte man gelegentlich dazu, wahllos Buchseiten zu kopieren, in der vagen Hoffnung, es könnte etwas Entscheidendes drinstehen, das man irgendwann mal gebrauchen kann. Aber wie findet man sich in einem schier unendlichen Wissensangebot zurecht? Wie kann man sich aufs Nachdenken konzentrieren, wenn es ständig Links gibt, die einen zu etwas Neuem zerren wollen? Wie erkennt man Fakes oder schlichtweg Unsinn? Wie verändert sich Lesen, Verarbeitung des Gelesenen und Behalten des Gelesenen bei der Computerarbeit? War Lesen bisher nicht ein multisensorischer Akt – Rascheln, Blättern, Berühren, Erfassen? Und lässt einen das Sichten im Internet in dem Glauben, was Google nicht findet, gibt es nicht?
Wahlmöglichkeit
Es sollte kein Zwang zur Open-Access-Veröffentlichung bestehen. Der Schutz des Urheberrechts sollte den Autor_innen die Wahl ihrer Publikationsform offen lassen. Es kann gute Gründe geben, eine Arbeit in gedruckter Form vorlegen zu wollen.
Wird die Wissenschaft besser?
Gibt es signifikant bessere Forschungsergebnisse? Oder steigt die Zahl der unseriösen Veröffentlichungen? Ist Peer Review wirklich immer über alle Zweifel erhaben?
Auffindbarkeit
Gedrucktes findet man im VLB (Verzeichnis lieferbarer Bücher), eine Einrichtung, die von den Verleger_innen und Buchhändler_innen getragen und finanziert wird. Meine stichpunktartige Suche im Directory of Open Books war nicht sehr zuverlässig, da war Google in der Tat besser. Sich bei der Suche aber nur auf Google zu verlassen, finde ich fragwürdig. Auch der Katalog der Deutschen Nationalbibliothek lieferte die gesuchten Netzpublikationen, mit der Einschränkung, dass es sich natürlich nur um deutsche Veröffentlichungen handelt. Ein umfassendes und unabhängiges Such- und Findewerkzeug scheint mir ein Desiderat zu sein. Auf gutem Wege dahin, jedenfalls für Medien- und Filmwissenschaften bewegt sich der Fachinformationsdienst adlr.link.
Wer erhält Geld für welche Leistungen?
Ungesichert ist auch die Zukunft der Verwertungsgesellschaften, die bisher zumindest von der Idee her für einen Ausgleich der Interessen von Autor_innen und Verwerter_innen, sprich Verlagen sorgten. Man sollte nicht vergessen, dass ein Teil des freien Zugangs durch die legalisierte Enteignung von Verlagsleistungen erbracht worden ist. Stichwort: die sogenannte Schrankenregelung, die die genehmigungsfreie Nutzung und Verbreitung von urheberrechtlich geschützten Büchern für Forschung und Lehre erlaubt. Man kann ja heute seinen Bachelor machen, ohne ein einziges Fachbuch gekauft zu haben – habe ich mir zumindest sagen lassen.
Die Entschädigung für Autor_innen und Verlage soll pauschal ja über die Verwertungsgesellschaft Wort (VG Wort) geschehen, nur dumm, dass die obligatorische Verlegerbeteiligung erstmal abgeschafft wurde. Ein großes Ärgernis.
Fazit
Wie wird der Buchmarkt im Wissenschaftsbereich in zehn Jahren aussehen? Verlage werden sich ändern müssen. Open-Access-Publikationen werden zunehmen. Buchhandlungen werden kaum noch wissenschaftliche Literatur anbieten. Gedruckte Auflagen werden weiter sinken.
Wir sind gerüstet, um gemeinsam mit unseren Autor_innen eine jeweils passende Lösung und die nötigen Vertriebswege zu finden: Gedruckt, BOD (book on demand), eBook oder OA.
Bevorzugte Zitationsweise
Die Open-Access-Veröffentlichung erfolgt unter der Creative Commons-Lizenz CC BY-SA 4.0 DE.