Media in Transition 6: „Stone and Papyrus – Storage and Transmission“
Vom 24. bis 26. April 2009 richteten das Programm für Comparative Media Studies (CMS) und das Communications Forum des Massachusetts Institute of Technology (MIT) die sechste Auflage der internationalen Konferenzreihe Media in Transition aus. Dieses Jahr stand die Konferenz unter dem Titel ‚Stone and Papyrus – Storage and Transmission‘, eine offenkundige Anlehnung an die medien- und kommunikationsgeschichtlichen Analysekategorien von Harold A. Innis. Im Anschluss an Innis' Arbeiten diskutierte man die kulturellen Auswirkungen der bereits heute gewaltigen und stets steigenden Speicher- und Übertragungskapazitäten digitaler Medien.
Die Veranstalter Henry Jenkins (seit diesem Sommer USC), David Thorburn (MIT) und William Uricchio (MIT/ Universität Utrecht) hatten das Themenfeld der Konferenz weit abgesteckt und damit verschiedensten Fragestellungen Raum gegeben, die im Call for Papers angerissen wurden: Welche Veränderungen ergeben sich aus der beschleunigten medientechnischen Entwicklung und Zirkulation kultureller Werke, insbesondere für deren Archivierung und das kulturelle Gedächtnis? Wie kann der Zugang zum Erbe analoger Bilder, Töne und Texte gewährleistet werden? Nach welchen Prinzipien soll die Migration analoger zu digitalen Datenbeständen erfolgen? Was für einen Wandel erfahren dadurch ästhetische, ökonomische und soziale Strukturen und Strategien? Wie gestalten sich in einer Zeit „beständig sich erneuernder Plattformen und Medienformate“ (David Thorburn) die Rollen privater und staatlicher Akteure, individuelle und kollektive Identitäten, Privatheit und Öffentlichkeit?
Diese und weitere Fragen zu ,Medien im Übergang‘ zu erörtern, traf man sich auf dem äußerlich eher wenig ansprechenden, dafür frühsommerlich warmen MIT-Campus. Dabei war die diesjährige Media in Transition so international besetzt wie keine zuvor – vielleicht auch ein Art „Obama-Effekt“, wie William Uricchio mutmaßte. Den Veranstaltern war es jedenfalls gelungen, mehr als dreihundert Referentinnen und Referenten aus der ganzen Welt – von Estland über Israel, Thailand und den Philippinen bis nach Neuseeland – in Cambridge zu versammeln. Zur Diversität der geographischen Herkunft kam die heterogene berufliche Zusammensetzung der Teilnehmenden hinzu: Neben viel wissenschaftlichem Nachwuchs und etablierten Akademikerinnen und Aka- demikern (Lisa Gitelman, Janine Marchessault, John Durham Peters und McKenzie Wark, um nur einige zu nennen) nahmen auch Künstlerinnen und Aktivisten, Journalistinnen, Archivare, Kuratoren und Kulturmanagerinnen an den Diskussionen teil. Zahlenmäßig nur schwach vertreten war – neben einer größeren Gruppe der Universität Utrecht – der deutschsprachige Raum: Außer einigen Mitgliedern des Austrian Academy Corpus nahmen lediglich eine Handvoll Forschende der Universitäten Münster, Innsbruck, Göttingen und Basel an der Konferenz teil.
Das Rückgrat der dreitägigen Veranstaltung bildeten sechs Plenarsitzungen zu ‚Medien in der globalisierten Welt‘, ‚Archiven und Geschichte‘, ‚Neuen Medien und Civic Media‘, ‚Institutionellen Perspektiven der Speicherung‘ sowie der ‚Zukunft des Publizierens‘. Die Masse der Beiträge wurde in kleineren Panels vorgestellt, von denen insgesamt über siebzig abgehalten wurden.
Entsprechend der offen gestellten Konferenzfrage und der langen Liste an vorgeschlagenen Gegenständen war die inhaltlich Spannweite der Präsentationen – wie auch deren Qualität – erwartungsgemäß groß. Die Themen der Panels reichten vom Künstlerischen (‚Future of Performance‘) über das Kartographische (‚Learning from Maps‘), Didaktische (‚Digital Classroom‘), Politische (‚Online Activism‘), Medienarchäologische (‚Sound/Noise/Signal‘), Fachgeschichtliche (‚Innis/McLuhan/Ong‘), Ökonomische (‚New Media Business Models‘), Textwissenschaftliche (‚The Sacred and Canonical‘) und Publizistische (,Reinventing Journalism‘) bis zum Juristischen (,Intellectual Property‘).
Das überreiche Angebot an Themen und Vorträgen mit jeweils bis zu zehn parallel laufenden Panels verlangte von den Hörerinnen und Hörern eine überlegte Auswahl, die als kleiner Ausschnitt aus dem Gesamtprogramm aber in jedem Fall subjektiv bleiben musste. Zudem stellte sich angesichts der schieren Menge und der thematischen Vielfalt der Beiträge, die teilweise auch innerhalb der Panels nur geringe inhaltliche Bezüge aufwiesen, bald eine gewisse geistige Überreizung ein. Insgesamt bot die Konferenz ein mitunter schillerndes Kaleidoskop medienwissenschaftlicher Forschung. Anstelle einer Darstellung einzelner Präsentationen oder Panels sollen deshalb kurz einige allgemeine Beobachtungen wiedergegeben werden.
Zunächst ist festzuhalten, dass nur vereinzelte Beiträge dem theoretischen Anspruch und der historischen Reichweite der ausholenden Innis'schen Analysen folgten, in deren Zeichen die Konferenz immerhin stand. Groß angelegte Forschungsvorhaben oder Projekte waren so gut wie keine zu erkennen. Es dominierten kleinräumige Studien, wie beispielsweise zu frühen digitalen Farbsystemen der Bell Labors, zum virtuellen Tourismus in der Online-Community Habbo oder zu den medialen Szenerien eines englischen Kriminalromans der 1930er Jahre. Als eine der wenigen Ausnahmen von diesen oftmals geradezu mikrologischen Untersuchungen seien hier John Durham Peters Überlegungen zu Kalendern, Uhren und Türmen erwähnt, in denen er über Innis' Unterscheidung von zeit- und raumbindenden Medien hinaus ein Konzept ‚logistischer‘ Medien entwarf. Das Nebeneinander kleinerer, häufig detailliert darstellender Arbeiten mag auch erklären, weshalb fachliche Kontroversen weitgehend ausblieben und kaum theoretische Debatten geführt wurden.
Damit verbunden ist die Feststellung, wie verschieden sich die nordamerikanische Wissenschaftslandschaft in Sachen Medienforschung von der deutschsprachigen zeigt. Vor allem fällt auf, dass die hierzulande scharf geführten disziplinären Auseinandersetzungen zwischen kulturwissenschaftlich begründeter Medienwissenschaft einerseits und sozialwissenschaftlich orientierter Kommunikationswissenschaft andererseits im anglo-amerikanischen Raum keine Rolle spielen. Der medienwissenschaftliche Forschungszusammenhang speist sich in Nordamerika weniger aus einem institutionalisierten Studienfach in Abgrenzung zu konkurrierenden Fächern, denn aus einem breiten und durchmischten Feld unterschiedlich profilierter universitärer Einrichtungen. Wichtiger als die inner- und außerdisziplinäre Abgrenzung scheint da zuweilen die Unterscheidung zwischen US-amerikanischer Medienforschung und kanadischer, welche sich gerne in der direkten Erbfolge von Innis und McLuhan sieht.
Schließlich bleibt anzumerken, dass die anglo-amerikanische Rezeption deutschsprachiger Medienwissenschaft bei allen Referenzen auf und Reverenzen an Kittlers Werk, ohne die inzwischen kaum eine englischsprachige Publikation zu Medien mehr auszukommen scheint, doch höchst selektiv ist und die transatlantischen Verbindungen hauptsächlich über interessierte Einzelpersonen statt über Diskurse oder Institutionen gehalten werden. Vielleicht könnten internationale Konferenzen beide Seiten künftig stärker ins Gespräch bringen und die noch mehrheitlich nebeneinander verlaufenden Diskussionen in Beziehung setzen, wie es jüngst auch die Potsdamer Tagung Media Theory on the Move tat.
Die Zukunft der Media in Transition-Konferenzreihe ist indes ungewiss, wie die des Comparative Media Studies-Programms auch. Henry Jenkins, einer der drei Veranstalter und Ko-Leiter des CMS, hat das MIT diesen Sommer verlassen, um als Provost an die Annenberg School for Communication der University of Southern California (USC) zu gehen. Sein Weggang aus Cambridge ist offensichtlich eine direkte Folge der mangelnden Unterstützung des CMS durch das MIT. So scheint das CMS seit Jahren nicht die notwendigen Mittel zu erhalten, um den ambitionierten Lehr- und Forschungsbetrieb konsolidieren zu können. Das Graduate-Programm des CMS, welches zum Master of Science führt, nimmt derzeit keine neue Studierenden auf und befindet sich nach offiziellen Angaben in einer Phase der „Reorganisation“.
Auch für den internationalen Forschungszusammenhang der Medienwissenschaft bleibt zu hoffen, dass das CMS bestehen bleibt und es in zwei Jahren die siebte Media in Transition geben wird – vielleicht, wie in der Schlussdiskussion angeregt wurde, selbst als Konferenz ‚in transition‘, zu Gast an einem Ort außerhalb von Cambridge und den USA.
September 2009
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