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Media Transatlantic

Media Theory in North America and German-Speaking Europe, Vancouver, 8.4.-10.4.2010

1.5.2010

Zur Produktion eines vielstimmigen Monologs

Als im letzten Jahr in Potsdam die Tagung ‚Media Theory on the Move. Transatlantic Perspectives on Media and Mediation’ stattfand, sollte damit ein Diskurs produktiv gemacht und institutionalisiert werden, der die Medienwissenschaft schon längere Zeit umgetrieben hatte und besonders prominent kurz davor in Geoffrey Winthrop-Youngs Kittler-Einführung artikuliert wurde. Was sei, so wurde gefragt, das Spezifische einer deutschsprachigen Medienwissenschaft, und wie könnte man dieses international, vor allem im nordamerikanischen Raum bekannt machen, um dadurch den Effekt eines Blickes von Außen zu gewinnen, der vielleicht neue Perspektiven auf das eigene Tun eröffnen würde? Die Besonderheit dieses Blickwechsel-Prozesses: Über den inhaltlichen Austausch hinaus wird immer wieder auf die Bedingungen eben dieses Austausches reflektiert. Diese durchaus angenehme Metaebene resultiert im vielleicht wichtigsten Ertrag all dessen, nämlich der Selbsthistorisierung. Gesucht wird also nicht einfach nach inhaltlichen Ergänzungen, sondern nach epistemologischer Anschlussfähigkeit – schließlich wird bei den beiden Referenzfiguren McLuhan und Kittler (und nicht zuletzt bei den französischen Theoriekorrelaten) Medientheorie als ‚epistemologisches Programm’ aufgefasst. Vom 8. bis 10. April 2010 wurde nun, von Richard Cavell (Vancouver) und Norm Friesen (Kamloops) organisiert, unter dem Titel ‚Media Transatlantic – Media Theory in North America and German-Speaking Europe’ nicht nur der Import der ‚German Media Theory’ gewagt. Zugleich sollte der Re-Import der hiesigen Lektüren der Toronto-School weiterverarbeitet werden. Denn Innis und McLuhan sind auf der anderen Seite des Ozeans meist anders gelesen worden als hierzulande. Aber mit der Institutionalisierung dieses Diskurses und Austauschs sind auch ganz eigene Probleme verbunden, die bei all dem nur marginal in den Blick kamen – anders als die beeindruckende Stadt Vancouver, die immer eine Reise und Tagung wert ist.

Vielleicht gerade weil die Tagung kein Programm und kein Thema hatte, blieb der Eindruck, dass die nordamerikanische Szene ähnlich dispers organisiert ist wie die deutschsprachige. Unterschiedlichste Ansätze stehen sich gegenüber – manchmal frontal, manchmal Rücken an Rücken, oft genug aber auch räumlich getrennt –, suchen aber nicht mit der gleichen Vehemenz nach Selbstverständnis wie im deutschsprachigen Raum. In wie weit dabei ähnliche Fragen auf dem Tisch liegen wie in Europa ließe sich allerdings erst nach umfangreichen Lektüren und Diskussionen sagen. Dieser Eindruck hängt sicherlich auch mit der unausgewogenen Tagungsstruktur von neunzehn sehr kurzen Beiträgen und sechs umfangreichen Keynote-Vorträgen zusammen, vielleicht auch mit dem Fehlen eines vertiefenden Rahmen- oder Abendprogramms (abgesehen vom überaus unterhaltsamen Vortrag des Schriftstellers Douglas Coupland, dessen McLuhan-Biographie bald erscheinen wird).

Darüber hinaus fehlte vor allem ein roter Faden. Ob etwa die Rolle Siegfried Giedions und seines Blicks auf die Gegenstände des Alltags für das Denken McLuhans, die Michael Darroch (Windsor) thematisierte; ob die Codier- oder Uncodierbarkeit von Materialität in Schrift, wie sie Christine Mitchell (McGill, Montreal) beschäftigte; ob eine Innische Lesart westlicher Musik anhand ihrer Materialisierungen und Aufführungspraxen, wie sie Darryl Cressman (Simon Fraser, Vancouver) vorstellte; ob das Vergessen der Sinne in der deutschsprachigen Lektüre McLuhans, die Rainer Leschke (Siegen) kritisierte; ob die Hervorbringung eines Begriffes von ‚Welt’ durch Medientechniken um 1900, die Markus Krajewski (Weimar) präsentierte; ob die diskursiven Netzwerke der Universitäten als Aufschreibesysteme, die Bob Hanke (York) thematisierte; ob die Medien der Vorlesung, über die Sean B. Franzel (Columbia, Missouri) vortrug; ob die Zeichen- und Bildstrategien der Chaostheorie Otto Roesslers, die Nina Samuel (Berlin) beschrieb; ob der Kurzschluss zwischen Sinnesphysiologie und Medientechnik im Grenzgebiet von Kybernetik, Bionik und McLuhan, den Jan Müggenburg (Wien) untersuchte – all dies blieben gute Einzelvorträge, denen ein Rahmen fehlte und damit ein verbindendes Element, dass ihnen darüber hinaus Konsistenz verliehen hätte. In unterschiedlicher Weise pendelten sie zwischen Kompromiss und Risiko, was das Hervorbringen gemeinsamer Wissensbestände anging. Sollte man sich nur auf das Bekannte stützen? Aber was kann man bei einem transatlantischen Dialog als bekannt voraussetzen? Und wie findet man eine gemeinsame Perspektive – oder liegt eine solche nicht sowieso fern jeder Möglichkeit?

Es besteht bei einem solchen Dialog entsprechend die Gefahr einer Fremdbeobachtung, die eingeschlossen bleibt – ein Problem, das sich in Vancouver aber selten stellte, weil die gemeinsame Diskussionsbereitschaft immer wieder genau auf diesen Punkt zurückkam. Dann ging es etwa darum, dass McLuhan in Nordamerika selten als Philosoph gelesen worden sei, dieser Blick auf McLuhan aber produktiv gemacht werden könne, oder um die Reichweite wissenschaftsgeschichtlicher Ansätze in der Medienwissenschaft.

Diese Dispersität spiegelt sicherlich die Auswahl der Vortragenden wieder, die die deutschsprachigen medienwissenschaftlichen Standorte relativ gut widerspiegelte – zumindest, was die geographische Verteilung angeht. Unter den Themen hingegen ließen sich einige Lücken ausmachen, wie sie auch in dem auftreten, was ‚German Media Theory’ genannt werden will: ein eher pragmatischer Zugang zu Medien etwa oder auf Genderfragen abzielende Ansätze waren ebenso unterrepräsentiert wie explizit politische Theoriebildungen (vom Geschlechterverhältnis ganz zu schweigen). Zu konstatieren bleibt damit ein organisatorischer Zwiespalt, der einen solchen Dialog zwangsweise begleitet: zwischen Auswahl, Repräsentation und thematischer Zuspitzung zu vermitteln, ist kaum möglich. So wird letztlich das importiert, was als importierbar erscheint oder aus höheren Gründen importiert werden soll. Sollte eine solche Tagung aber nicht viel eher verschiedene Ansätze auf Importierbarkeit hin ausprobieren?

Inwieweit den nordamerikanischen Kollegen, die größtenteils nicht in Potsdam anwesend gewesen sind, damit ein Eindruck von der deutschsprachigen Szene gegeben wurde, wird sich zeigen. Zumindest sollten Katherine Hayles Einblicke in den Einbruch der Dinge in die Humanities (mit Bezug auf Bernard Stiegler und Adrian MacKenzie) auch hier auf fruchtbaren Boden treffen. Die Dinge transformierenden Kräfte digitaler Technologien erlauben, so Hayles, nicht nur neue Praxen des Mediengebrauchs, sondern auch neue theoretische Perspektiven. Schließlich müssten angesichts digitaler Agenten zentrale Begriffe wie Aufmerksamkeit neu formuliert werden, ohne dabei auf Ontologien oder Bewusstseinstheorien zurückgreifen zu können.

Die drei deutschen Keynote-Vorträge behandelten allesamt das Ziel, den Einfluss des Mediums auf das Mediatisierte komplexer zu fassen als dies bisher gelungen sei. Dieter Mersch (Potsdam) sprach über das ‚always already’ der Bedingungsgefüge, in denen Medien häufig situiert werden, wenn ihre Macht als Beeinflussungsfaktor beschrieben werden soll. Indem er diese Ansätze auf den theoretischen Rahmen der Kürzel ‚meta’ und ‚dia’ bezog und einen logischen Übergang vom einen zum anderen herausarbeitete, wies Mersch eine Perspektive auf, die es erlauben würde, Mediation anders zu fassen als in Termini der Informationstheorie oder des Strukturalismus. Hartmut Winkler (Paderborn) äußerte ein Plädoyer für Prozesse des Prozessierens als Erweiterung des Blicks auf Speicherung und Übertragung. Zu untersuchen wäre mit Winklers Modell, wie Medien Prozesse der Verarbeitung generieren und in diese Prozesse eingreifen. So könnte in den Blick genommen werden, was allzu häufig marginalisiert wird, aber doch einen wesentlichen Bestandteil aller Medienvorgänge ausmacht: das Prozessieren. Damit ergänzten sich Sybille Krämers (Berlin) Vorschläge zum Boten als Paradigma der Medientheorie und als Versuch, Medien vom Dritten her zu denken.

Es ließ sich also keine Perspektive durch die sehr unterschiedlichen Vorträge und Panels verfolgen. Explizit methodische Diskussionen waren jedoch zu selten und wären in diesem Kontext vielleicht auch zu schwierig zu verhandeln, um als Leitmotiv fungieren zu können. Allein ein Thema, ein Name stand immer wieder im Raum: Friedrich Kittler. Ob man nun mit einer Formulierung vorlieb nehmen möchte, die darin die ewige Wiederkehr des längst Überholten oder die Rehabilitierung des zu lange Missverstandenen sieht: Ohne Kittler im Original und ohne Kittler in der Übersetzung Winthrop-Youngs und Michael Wutz’ wäre der transatlantische Dialog in dieser Form sicherlich nicht zustande gekommen – aber auch nicht ohne das Unbehagen an einer schnell einseitigen Aufnahme deutschsprachiger Medientheorie in Nordamerika. Denn eine der Intentionen der Tagung war gerade, dieses Feld weiter zu öffnen und andere Ansätze in Spiel zu bringen. Über die Gründe, warum gerade der Theoriekomplex ‚Kittler’ den Brückenschlag mit allen bedeutenden Konsequenzen möglich machte, ist in letzter Zeit viel spekuliert worden. Doch diese Diskussionen wurden in Vancouver nur am Rande weitergeführt. Vielmehr ging es in einer ganzen Reihe von Vorträgen und Diskussionen um eine Standortbestimmung der aktuellen Veröffentlichungen Kittlers zu Musik und Mathematik. Denn der Diskurs, an dem Kittler andockt, hat gerade in Kanada mit Harold Innis, Eric Havelock und Walter Ong seinen Ort, wie Till Heilmann (Basel) eindrucksvoll darlegte. Wie Innis nutzt Kittler Griechenland als Figur der Medientheorie, mit dem entscheidenden Unterschied, dass Griechenland bei Innis am Beginn ihrer Formulierung steht, bei Kittler hingegen mittels Griechenland mit der Medientheorie abgeschlossen werden soll. Die Schrift, die Kittler in allen seinen Arbeiten verfolgt hatte, erscheint so weiterhin als das große unbekannte Medium, an dem sich zugleich, so Twyla Gibson (Toronto), eine Genealogie der Medientheorie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ablesen lässt – je nach Interpretation der shifts von oraler zur literaler Kultur. Doch im Rahmen der Tagung blieb diese produktive Zuspitzung und Zusammenführung auf ein Thema eine Ausnahme.

In absehbarer Zeit soll der transatlantische Dialog in Paderborn eine Fortsetzung finden. Von der Keynote-Struktur (die in Potsdam noch nicht angewandt wurde) sollte dabei dringend abgesehen werden. Sie zementiert eine grundsätzlich beklagenswerte neuere Entwicklung gerade in der deutschsprachigen Medienwissenschaft, nämlich die Kanonisierungsversuche auf professoraler Ebene, die sich gelegentlich als Selbstkanonisierungen äußern. Dies führte auch dazu, dass sich Stellungnahmen auf den Tagungen in Potsdam und Vancouver wiederholten. Allerdings gilt auch: Wenn von den deutschsprachigen Vortragenden zu Recht ein gutes Englisch erwartet wird, sollte das ebenso für die Sprechgeschwindigkeit der englischsprachigen Vortragenden gelten. Den Vorträgen von Twyla Gibson und Anthony Enns jedenfalls konnte auch der geübte Fremdsprachler kaum folgen.

Mehr als einen oberflächlichen Einblick in die Organisations- und Wissensstrukturen eines fremden Wissenschaftssystems kann eine Tagung naturgemäß nicht bieten. Und damit wäre wieder auf das Problem der Kanonisierung zurückzukommen. Denn über kanonische Texte oder Ansätze hat man sich in einem Prozess der Kanonisierung bereits verständigt. Gäbe es keinen Konsens, wäre ihre Kanonisierung vornehmlich erzwungen. Sie können, per definitionem, als bekannt vorausgesetzt werden. Die Prozesse der Kanonisierung selbst hingegen, vor allem, wenn sie von denjenigen getragen werden, die kanonisiert werden sollen, unterliegen anderen Regeln und Machtstrukturen. Wenn diese Regeln nun aber, wie bei diesen transatlantischen Debatten oder bei der Veröffentlichungspolitik deutschsprachiger Medienbegriffstheorie ‚von oben’ gesteuert werden, läuft der Selbstverständigungsprozess, der jede Kanonisierung begleiten sollte, Gefahr, durch Setzungen ersetzt zu werden – etwa, indem statt Ansätzen Namen leitend werden. Und wenn dann noch strukturelle, universitäre Besetzungen dazutreten – Keynote-Strukturen, Einladungspolitiken – dann geht die Selbstverständigungsseite des ganzen Prozesses allzu schnell zwischen den Kontinenten verloren. Dann bestünde wiederum die alte Gefahr, dass Selbstverständigung als Selbstgespräch geführt wird und entsprechend fruchtlos bleibt. Identität mag immer nur im Selbstgespräch artikulierbar sein. Aber weil jede Kommunikation (vor jedem Dritten) einen Zweiten braucht, muss sich jede Identität von sich selbst unterscheiden, um kommunizieren zu können. Es muss immer zwei geben, und wenn es nur einen gibt, muss aus diesem einen zwei werden. Aber dass aus zwei eins wird, wäre eine phantasmatische Überhöhung.

War es vor einem Jahr in Potsdam und einer anschließenden Podiumsdiskussion in Siegen noch so, dass die deutsche Medienwissenschaft geradezu auf den Blick von Außen gewartet zu haben schien und ihn dankbar aufnahm, fehlte in Vancouver entweder die Präzision des Blicks auf die nordamerikanische Wissenschaft oder aber die Aufnahme und Weiterverarbeitung. Wie Claus Pias in Potsdam festgehalten hat, war weniger die Debatte um das Deutsche an der deutschen Medienwissenschaft ‚typisch deutsch’, sondern der Weg, der zu ihrer Artikulation führte – gewissermaßen eine diskursive Situation angesichts des Wissenschaftsratspapiers, des Strukturwandels der Universitäten und des Erfolgs der Medienwissenschaft. In Nordamerika scheint, so konnte man vermuten, ohne dass diese Vermutung auf festen Füßen stünde, genau eine solche Notwendigkeit der Selbstvergewisserung derzeit zu fehlen. Dann wäre dies einerseits ein bewundernswerter Zustand, andererseits würden die Debatten aber auf einzelne Theorieangebote und Ideenimporte beschränkt bleiben, anhängig von der leidigen Übersetzungsfrage. Eine Programmatik der ‚German Media Theory’ und ihr Bindungsbestreben hätte damit das Ziel eher in der Heimat als auf der anderen Seite.

Geoffrey Winthrop-Youngs Vortrag war der einzige, der sich mit einer Weiterführung der Potsdamer und Siegener Fragen beschäftigte und den Fokus diesmal auf den Re-Import des Imports legte. In den 80er und 90er Jahren sei die deutsche Medientheorie in Nordamerika noch chancenlos gegen die französische Theorie gewesen, was aber wiederum Anschlussmöglichkeiten in den letzten Jahren ermöglicht habe. Zu fragen wäre also nicht nur im Sinne einer Zustandsbeschreibung, sondern durchaus im Sinne einer Diskursanalyse, was jeweils die Anschlüsse sind, die etwa gerade jetzt den Import etwa Kittlers erlauben. Unter diesem Blickwinkel gelang es Winthrop-Young, einsichtig zu machen, dass etwa die Unabhängigkeit der German Studies von der Germanistik für den Reimport weichenstellend gewesen ist.

Bei aller Notwendigkeit eines transatlantischen Dialogs und trotz aller Produktivität, die er auslösen kann, bleibt bedenkenswert, ob die Setzung des Markennamens ‚German Media Theory’ nicht eher für den deutschsprachigen Raum selbst eine Rolle spielt. Denn es erscheint folgerichtig, dass der Dialog, der zum Monolog gemacht werden soll, sich mit sich selbst beschäftigen muss. Welchen inneren Stimmen er dabei folgt, das weiß nur der Ozean.

In absehbarer Zeit sollen alle Vorträge auf www.mediatrans.ca online zur Verfügung stehen.

Mai 2010

Bevorzugte Zitationsweise

Sprenger, Florian: Media Transatlantic. Media Theory in North America and German-Speaking Europe, Vancouver, 8.4.-10.4.2010. In: Zeitschrift für Medienwissenschaft, ZfM Online, Onlinetext, , https://zfmedienwissenschaft.de/online/media-transatlantic.

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