Hyperandrogenes Testen. Hormone brechen olympische Rekorde
von Ulrike Bergermann
Je mehr Sportfunktionäre sich via Korruption die Hände schmutzig machen, um so sauberer soll es in anderen Körpern zugehen. ‹Leistungssteigernde Mittel› werden ausgeschlossen, und Männlichkeit ist eine sportliche Ressource, die nur einer Gruppe zusteht. Im Fokus stehen Sportlerinnen, denen «Hyperandrogenismus» attestiert wird. In anderen Lebensbereichen wäre das das Mittel zum Erfolg, hier ist es ein Ausschlusskriterium; an welchen Punkten eine Hypermännlichkeit gemessen und attestiert wird, unterläuft kategorialen Änderungen. Es sind nicht mehr die Genitalien (wer einen Penis hat, kann nicht bei den Frauen mitlaufen), und seit diesem Jahr sind es auch nicht mehr die Chromosomen (wer ein Y-Chromosom hat, kann nicht bei den Frauen mitlaufen). Es sind die Hormone. Wer sich nun nicht chemisch selbst reguliert, unterliegt einer lebenslangen Sperre.
Die indische Läuferin Dutee Chand weigerte sich 2014, ihren Testosteronlevel chirurgisch oder chemisch zu manipulieren, und gewann mit ihrer Eingabe 2015 vor dem obersten Sportgerichtshof (Court of Arbitration for Sport, CAS); davon profitiert im Moment auch Caster Semenya, die südafrikanische Läuferin, die schon 2009 wegen abweichender Geschlechtsmerkmale (Vagina ja, Eierstöcke nein, zu viel T) gesperrt und nach Protesten im Juli 2010 wieder zugelassen wurde (vgl. Sabine Hark im Interview 2009.) Morgen, am 19.8.16, läuft Chand als erste indische Sprinterin seit 36 Jahren den 100-Meter-Lauf; weitere Läuferinnen mit ‹erhöhten› T-Werten sind ebenfalls zugelassen. Diese Regelung ist vorläufig.
2011 ersetzte das IAAF (International Association of Athletics Federations, Weltleichtathletikverband) die Chromosomentests mit einer Blutuntersuchung auf Testosteron (Biomedizinerin Katrina Karkazis erläutert die Geschichte ausführlich im bitch-Interview). IAAF und Internationales Olympischess Kommittee (IOC) suchen seit Jahren explizit nach «gender-devianten» Frauen («the IOC urges National Olympic Committees to actively investigate any perceived deviation in sex characteristics», hieß es 2012). Wer überhaupt getestet wird, ist willkürlich, die Auswahl ist zudem von der medialen Berichterstattung geprägt; dass immer mehr Sportlerinnen Make Up, Haarschmuck, Nagellack, lange Nägel etc. tragen – was wiederum Anlass für Kommentare der Berichterstatter ist etc.pp. –, mag damit in Zusammenhang stehen.
Es sind Frauen des sogenannten globalen Südens, die hier in den Fokus geraten sind, und damit folgen die Examinatoren rassistischen Stereotypen von besonders animalischen, also maskulinen Frauen – Karkazis berichtet sogar von Zwangssterilisationen an vier schwarzen Frauen aus armen bäuerlichen/bergigen Regionen sogenannter «Entwicklungsländer» noch 2012. Class ist relevant, und queerness selbstverständlich im Bunde mit hyperandrogeny (vgl. Jennifer Doyle über Katie Ledecky und «the queerness of her blackness» oder «Is the world ready for a black, queer, intersex Olympian?»).
Wer gehört zur korrekten Klasse Frauen? Eine Frau ist auch, wer gezwungen ist, beim Beachvolleyball eine enge kurze Hose zu tragen. Musliminnen dürfen mit mehr Stoff am Köper antreten, was zu höchster medialer Aufmerksamkeit und Sensationsheischerei, zu sexistischen und rassistischen Kommentaren aufzufordern scheint, die Nackten vs. die Verhüllten, wieder ein «culture clash», auszutragen am Körper von Frauen (u.a. der ägypischen Volleyballerinnen mit Hijab, vgl. Doaa Elghobashy, Volleyball in a hijab: Does this picture show a culture clash?). Eine Definition von «Frau» twitterte Xhanti: «I know Caster Semenya is a woman because people are trying to control her body.»
Diese Sortierarbeit macht nur Sinn in einem bestimmten Kontext, der so natürlich nicht ist. Sport bedeutet: wer läuft am schnellsten. Nicht: wie schnell kann ein Mensch laufen, und kann man das immer wieder steigern. Oder: welches Laufen sieht am besten aus, macht am meisten Spaß, fühlt sich am besten an, irgendwas. Oder: welches Laufen macht am meisten Spaß zusammen. Sport heißt: Körperliche Leistungen messen, vergleichen, einige prämieren, andere nicht. – An dieser Stelle setzt genervte Ungeduld beim Lesen ein: Wer es nicht kompetitiv mag, kann ja weggucken oder in die Oper gehen, Anstrengung und Gewinnenwollen macht ja auch Spaß! Stimmt, aber nicht mehr so. Dieses Sortieren muss man voraussetzen, wenn man sich fragt, warum nur Menschen mit ‹gleichen› Voraussetzungen zusammen Sport machen sollen. Wenn es ums Gewinnen geht, muss Gerechtigkeit in den Ausgangsbedingungen herrschen, das heißt: diese sollen vergleichbar sein. Hierbei zählt nicht, ob die Sportlerin aus dem einen Land eine Sportförderung erhalten hat, Schulen, Trainer, Beratung, und die andere vielleicht nicht. Die körperliche Natur selbst soll die Gleichheit, also Vergleichbarkeit der Leistungen schaffen.
Zu den fairen Antrittsbedingungen zählt eine ‹Reinheit des Körpers›, der weder technisch noch chemisch verstärkt werden darf. Männliche Körper sind leistungsstärker als weibliche, daher treten Männer und Frauen getrennt an. Diese Trennung muss durch Sex-Tests überprüft werden. (Es scheint klar, dass männliche Sportler keinen Tests unterzogen werden, denn wenn sie Östrogene oder XX-Chromosomen hätten, wären sie ja quasi benachteiligt, und davor muss man keine Konkurrenten schützen.) Eine Frau, die ein männliches Chromosom in ihrem Körper trägt, ist ein Problem, weil quasi naturgedopt. Wer einen erhöhten Testosteronlevel im Blut hat, kann diesen chemisch jetzt herunterfahren: damit wäre ein Ent-Doping künstlich eingeleitet. Das wird als Fortschritt beschrieben, denn jetzt grenzen nicht mehr die biopolitischen Gesetze der Sportinstitutionen aus, sondern die Gestaltung der Geschlechtszugehörigkeit wird in die Hände der Einzelnen gelegt.
Geht es um einen fairen Test oder geht es um das Testen? Jennifer Doyle untersucht die Geschichte von Zuschreibungen und Untersuchungsmethoden. Frauen und Männer getrennt antreten zu lassen, hat nur dann Sinn, wenn es um Spitzenleistungen geht – ansonsten laufen Millionen Frauen schneller als Millionen Männer und umgekehrt. («Most men reading these sentences, for example, are quite a bit slower than Caster Semenya — most men reading these sentences are, in fact, quite a bit slower than the slowest women running her event in Rio.») Doyle schreibt:
«Competitive sports are about difference. They produce differences in speed, distance and skill. Women are quite different from each other. Men are also quite different from each other. Usain Bolt’s physical difference from his competitors is actually very similar to Caster Semenya’s difference from hers (they both look stronger than everyone else). In sports, men’s physical differences from each other do not lead to their disqualification. Usain Bolt is so tall (6’5″) that he covers his distance in fewer steps than do his competitors. This is one of the many things that makes Bolt so fast. It does not make him so much of a man that he has an ‹unfair› advantage over other men. It makes him into a hero, not a monster.
Women athletes who perform above people’s expectations regarding women’s capacity — especially when they are black — are scrutinized not as athletes, but as women. Meaning: they are evaluated according to a racist and sexist sense of what defines women. Any aspect of her being which defies that image, which is in conflict with cultural notions about what makes a woman a woman is at risk of being identified as having ‹unfair› advantage — she is, in this view, a threat to other women.»
Es ist eine armselige Menschheit, könnte ein Alien denken, das sich in die olympischen Übertragungen hineinschaltet, eine Menschheit, die sich nur unter der Prämisse Bilder von Körpern im Sport ansehen mag, dass diese einer ‹eigenen› Nation angehören und dass diese ‹eigene› Nation gewinnen könnte. (Von hunderten möglichen Medaillen wird im deutschen Nachrichtenfernsehen nur von denen berichtet, bei denen Deutsche beteiligt sind.) Dazu muss der nationale Körper wiederum einer bestimmten Geschlechtsnation angehören.
Russisches und anderes Staatsdoping, Korruption auf höchsten sportinstitutionellen und politischen Ebenen, Vertreibung und Enteignung von Unterprivilegierten in den Veranstaltungsorten, absurde Grade der Kommerzialisierung öffentlicher Güter, all das verweist ohnehin darauf, dass Sport im 21. Jahrhundert mehr denn je eine zutiefst kapitalistisch durchstrukturierte Angelegenheit geworden ist. (Carolin Emcke scheibt in der Süddeutschen, warum nach jahrelanger guilty pleasure des Olympia-Schauens mit dem Ausschluss der russischen Doping-Whistleblowerin Julia Stepanowa durch das IOC jetzt ihr Überdruss so groß wurde, dass es mit der Lust an Olympia endgültig vorbei ist.) Die Widersprüche, Problematiken und Absurditäten rund um die Sex-Tests zeigen aber eine andere Veranstaltung auf. Im Alien-TV des 22. Jahrhunderts geht es darum, wie Körper mit mechanischen, elektronischen, chemischen, psychischen Technologien neue Bewegungsweisen praktizieren können, und diese sind gruppiert je nachdem, ob sie morgens oder abends am besten ausgeführt werden, im Wasser oder nicht, in kleinem Raum oder irgendwo draußen, im Team oder nicht, mit Musik oder ohne; die Nostalgiesektion ringt weiter um Rekorde in Tausendstelsekunden, andere testen neue kreative Verschaltungen von Gravitation, Anstrengung, neuen Materialien für Sprungfedern, dem leckersten Nudelsalat vor Beginn. Alle TeilnehmerInnen haben verschiedene Ausgangsbedingungen, keineR tritt repräsentativ für eine Gruppe an, Gruppen bilden sich aus Spaß an neuen Kombinationsmöglichkeiten oder als entkommerzialisierte X-People; Sponsoring ist überflüssig, weil Sport entweder gesellschaftlich gewollt und ermöglicht wird oder nicht; in der Hippie-Sektion massieren sich alle gegenseitig für den Weltfrieden. Die körperliche Unversehrtheit lässt sich in sinnvolleren Bereichen aufs Spiel setzen.
Der als weiblich identifizierte und als schwarz markierte Körper als umkämpftes Terrain der Reinheit zeigt heute den Weg: eine Abkehr von der Instumentalisierung für Nationen. Nehmt Hormone, Instrumente, was gesund und gute Laune macht, baut kreative Teams und überrascht das Publikum, mit Disziplinen, die wir noch nie gesehen haben, der Schönheit von slo-mo, the beauty of big, die Inklusion der Paralympics, para für alle, was für eine Leistung.
**PS: update: Dutee Chand blieb deutlich unter ihrer Bestzeit. Vielleicht war sie nicht gut, vielleicht nervös, was auch immer. In jedem Fall sind die Begleitumstände Ihres Antretens nicht nur in Bezug auf gender, sondern auch auf Ungleichheiten zwischen Wohlstandsnveaus, class and nations bemerkenswert: «Her journey to Rio spanned 36 hours and three flights in economy class, while officials, whose sole contribution to Indian Olympic campaigns is causing national embarrassment, schmoozed in business class. Her coach did not travel with her. He had accreditation issues, with most Indian passes having been diverted to undeserving hangers-on.
[...] let’s examine the issue of money and opportunity. An online retail site gifted Chand a pair of spikes before she left for Rio, after she complained that the ones she was using were worn out. Lalita Shivaji Babar, who finished 10th in the 3,000m steeplechase, didn’t even buy her first pair of shoes until she was barred from running barefoot at the age of 16. ‹I hadn’t even heard of adidas, Puma and Reebok,” she told Ruralindiaonline. “I still remember those shoes. They were of a local company called Pama. It was much later that I started buying branded shoes fit for running.›»Dileep Premachandran, «Rio Olympics: You can’t blame Dutee Chand», Hindustan Times, in: livemint.com, 19.8.16
Jennifer Doyle, Capturing Semenya, in: The Sport Spectacle, 16.8.2016
Jules Boykoff, #handsoffcaster: Why the Policing of Female Athletes' Testosterone Levels needs to Stop, in: bitch, 15.8.16
Azeen Ghorayshi, These Women Athletes Were Banned From Competing Because they Weren't 'Female' Enough, in: BuzzFeed, 12.8.16
Molly Osberg, Is the world ready for a black, queer, intersex Olympian?, in: Fusion, 11.8.16
Markus Stauff, «The Level Playing Field»: Regierungstechnologien im Mediensport, in: Friedrich Balke, Maria Muhle (Hg.), Räume und Medien des Regierens, Paderborn (Fink) 2016
Rick Kenney, Komiko Akita, "Is She a Man? Is She a Transvestite?" Critiquing the Coverage of Intersex Athletes, in: Jane Campbell, Theresa Carilli (Hg.), Queer Media Images, Lanham, Boulder u.a. (Lexington Books) 2013, 137-146
Dana Oliver sammelt im Tumblr olympische Nagellack-Varianten und Hairstyles
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