#Männerwelten
Dies ist ein Aufklärungsvideo zu sexueller Gewalt (presented by Good Guys Productions™). Eine undankbare Kritik
Einleitung – Bühne frei: Zuhören oder Delegieren?
Joko und Klaas «gewinnen» 15 Minuten Primetime-Sendezeit, wenn sie in einer ihrer Competition-Mutproben-Prank-Games ihren Arbeitgeber ProSieben schlagen. Über diese 15 Minuten können sie frei, angeblich ohne dass der Sender mitredet, entscheiden. Wofür nutzen sie diese – vielleicht für noch schlimmere Bubenstreiche als sonst? – hihihöhö… der Sender übernimmt keine Verantwortung, alles, was passiert, geht direkt auf Joko und Klaas‘ Kappe.
Gibt’s Ruhm und Ehre? Oder Scham und Schande?
Spannend!
Am 13.5.2020 machen Joko und Klaas aka die TV-Klassen-Clowns Deutschlands1 aus ihrem Gewinn das Video Männerwelten (hier zu sehen bei ProSieben), eine viertelstündige Museumstour zum Thema «Sexuelle Belästigung und sexualisierte Gewalt». Oder besser, sie lassen machen. Reden tun nämlich nur Frauen*. Das ist eigentlich erfrischend, sie schweigen und hören zu, was andere zu sagen haben. Im Video tauchen Joko und Klaas nur als die auf, die meinten, darüber müsse mal geredet werden. Was also auch ausbleibt ist Selbstkritik oder ein Die-Fresse-Hinhalten fürs Thema, das ja gerne an derjenigen, die darüber spricht, kleben bleibt (und sie schmückt wie ein Warndreieck auf dem Kopf – Achtung! Hier kommt die mit der Sexismuskritik, attraktiv und überall beliebt!).
Ist diese Entscheidung, von der Bühne zu verschwinden, also die gelungene Inszenierung der Good Guys™ (Hannah Gadsby: «‹The Good Men› & Misogyny»), die die Bühne frei machen, um Frauen* und ihren Erfahrungen zuzuhören? «Wir möchten uns […] bei Joko und Klaas für diese Aktion bedanken! Es ist wichtig, dieses Thema in die Öffentlichkeit zu bringen.» (So die Twitterperlen.)
Oder das gemütlich-gewöhnliche, männliche Delegieren des «Frauenthemas» an die Frauen*?2 Wer macht hier für wen die Arbeit? Ist das eine rhetorische Frage oder eine Gemüsebeilage? Auf jeden Fall (sorry für den Museumshumor), «ceci n’est pas une pipe».
1. Repeat the Horrorgeschichten
Wir sind also im Museum der «männlichen» Schauerlichkeiten, der Dick Pics und des online harassment. Unsere Museumsführerin ist Sophie Passmann. Weil Museum nicht gleich Spannung verspricht, gibt es zu Beginn eine Art an «Joko und Klaas»-Stil angelehnte Dramatisierung. Anheizende Ansprache, düster-dramatisch ausgeleuchtete Räume, spannungsgeladene Musik. Alles wird auf die erlebnisheischende Explosion (boah kraaaasss!) hin gepolt, es ist echt «nichts für schwache Nerven», Joko und Klaas «schockieren» mit nicht jugendfreiem Inhalt ...
Diese tendenziell überdrehte Dramatisierung ist eigentlich ein Tool von Joko und Klaas‘ Clownereien. Sie zündet dann aber – kalkuliert – nicht, denn es geht ja um ein ernstes Thema.
Scheinbar muss also sexuelle Belästigung ernst, ohne Lachen, erzählt und gezeigt werden (stimmt so nicht, siehe Jessica Williams; oder Hannah Gadsbys Show Nanette). Das ist natürlich eine Konvention, die auch ihre Berechtigung hat. Insbesondere deshalb, weil das juvenile Betamännchen-Lachen von Joko und Klaas auch an Trollmentalitäten andockt und eben genau kein befreiendes, verbindendes Lachen ist, sondern oft Provozieren, Verarschen, Auslachen, Verlachen, Schadenfreude (vgl. Strick 2018 und Dietze/Strick 2017)3 oder Cringe (vgl. Natalie Whynn, Contrapoints). Sie können sich tendenziell über alles (insbesondere sich gegenseitig) lustig machen. Ihr Lachen ist ein mal mehr, mal weniger harmlos-spielerischer Affekt der Dominanz und Unterwerfung, eine Herstellung von antagonistischen Affektbündeln. Dieses Lachen setzen Joko und Klaas bei «Männerwelten» nicht ein (obwohl es da schon Protagonisten zu verarschen gäbe – ich mache später ein, zwei Vorschläge).
Die leichte Ironie der Museumsinszenierung bricht die Schwere also nicht in erleichterndes Lachen. Wir treffen Palina Rojinski, sie zeigt ihr und anderen zugesandte Dickpics (deren Versenden strafbar ist, wie Passmann erklärt, nach §184 StGB – gut zu wissen, wem‘s hilft!). Die Stimmung der beiden ist zynisch-ironisch-abgeklärt. Die Alltäglichkeit dieser Gewalt, die Rojinski zu Recht als virtuellen Missbrauch bezeichnet, wirkt natürlich abstumpfend – sich davon affizieren zu lassen hieße, nicht zu funktionieren. Hier sind aber alle tough (haben keine ‹schwachen› Nerven).
Wir treffen Jeannine Michaelsen (Comedy), Visa Vie (Musikjournalistin) und Stefanie Giesinger (GNTM, Model). Sie verlesen die üblichen sexistisch-erniedrigenden Kommentare gegen sie. «Da muss man ja dankbar sein für so viel konstruktives Feedback», kommentiert Passmann zynisch. Wir Zuschauer_innen sollen auch dankbar dafür sein, dass uns Frauen* die Worte vorlesen, die von Typen geschrieben wurden, um sie zu erniedrigen. Die verschiedenen, wunderschönen jungen weißen Frauen* stehen vor uns, in aufrechter Pose, sichtbar bis zur Brust und blicken direkt in die Kamera. Hinter ihnen ist genau der Auftritt projiziert, der mit den verlesenen Worten kommentiert wurde. Sie, die Frau*, das Opfer, wiederholt also die Gewalt, gibt ihr ihr eigenes Gesicht, gibt ihr ihre eigene Stimme – hält das Gesicht erneut hin – und muss dabei stark bleiben (ein richtig gutes Opfer, fast so gut wie Jesus vielleicht?).
2. Wo ist die Kritik in dieser Wiederholung?
Liegt die Kritik darin, dass die Person, die erniedrigt werden sollte, der Erniedrigung standhält (starke Frauen* weinen nicht!, kritisch hierzu u.a. Laurie Penny, Emma Jane (von Bikini Kill) und Clementine Ford)? Können wir in diesen jungen Frauen*, die bei GNTM gewannen oder TV-Moderatorinnen sind, die Menschen sehen, weil gerade die Kamera ein bisschen aus der Untersicht filmt? Ist es echt damit getan, dass sie mit ernstem Blick die beschämenden Kommentare (à la «sie lutscht Schwänze für den Job») vorliest und eine Moderatorin sagt, dass das 50 % aller Frauen* schon widerfahren ist? [Memo an mich selbst: niemand mag rhetorische Fragen!]
+++ News Flash: Die Wiederholung von Gewalt ist nicht gleich kritisch. Das Verlesen von sexistischen Kommentaren ist nicht wie das Aussprechen des Namens von Rumpelstilzchen, es lässt weder Täter* noch Gewalt verschwinden. Oder [breaking the fourth wall] Michael, Jakob, Klaus und Christian, die ihr solche Kommentare schon gedacht, gepostet oder unter euch ausgesprochen habt, fühlt ihr euch ertappt? Wolltet ihr der doofen Frau* ja gar nicht weh tun, sondern nur untereinander witzig sein? Oder habt ihr sowas eh noch nie gesagt, gehört ihr zu den Guten? Puh, voll gut! Newsflash Ende +++
OK, also, wir leben in einer Gesellschaft, in der Frauen* durch Sex erniedrigt werden können. In der die Aussagen «sie lutscht Schwänze», «sie will/soll gefickt werden», erniedrigend und gewalttätig wirken. Das ist schon an sich erklärungsbedürftig und feindlich gegen Sexarbeiter_innen, so wir doch zuhauf Männer* lieben (sollen), manche für Geld sexuelle Zuneigung anbieten und die meisten von uns Sex genießen wollen. Außerdem erklärungsbedürftig ist, warum die Frauen* hier stoisch, still, unverletzt, stark vorlesen müssen, was andere ihnen antun. Warum sollen sie die beschämenden Worte aussprechen? Warum laden Joko und Klaas nicht ihre cismännlichen Freunde ein, damit die das vorlesen? Insbesondere beim Verlesen der ekelhaften Chatverläufe, die Collien Ulmen-Fernandes und Katrin Bauerfeind performen, würde das inszenatorisch sehr viel mehr Sinn machen. Warum interviewen Joko und Klaas nicht einen Pick-up Artist (z.B. diesen hier) und verarschen ihn, lachen ihn richtig aus, beschämen ihn? Warum fehlen Verkörperungen von Tätern* im Video gänzlich? Warum muss sexuelle Gewalt als Aufführung von wunderschönen, weiblichen Opfern dargestellt werden, die nicht aggressiv spucken, rachsüchtig mit der Kettensäge Jokos Smartphone und Klaas‘ Daumen zersägen und auf ProSiebens Vertrag mit GNTM-Produzentin Heidi Klum pissen? Warum ist das alles immer so verdammt angenehm zu konsumieren – vor allem für den Sender selbst, der ordentliche Selbstkritik vertragen könnte?
3. Was ist das für eine Bühne für weibliches Leiden?
ProSieben produziert Galileo, die Sendung, in der jährlich Wasserrutschen von jungen Frauen* in Bikinis getestet werden oder der kleinste Bikini der Welt entdeckt wird; ProSieben produziert taff, wo investigativ jungen Frauen* in Bars heimlich was ins Glas getropft wird, mit der pädagogischen Botschaft straight out of Rape Culture, «hey, passt mal besser auf, Mädels», man könnte euch voll leicht narkotisieren!
ProSieben produziert GNTM, worin regelmäßig junge Frauen* beim Nacktshooting geslutshamed werden («Harte Kritik: ‹Gerda ist ein Playboy-Model!›»). Slutshaming, über das dann die GNTM Gewinnerin Giesinger im Good Guys™ Programm öffentlich ihr Leid klagt, ohne überhaupt klagen oder leiden zu dürfen (denn sie lesen ja wirklich nur vor, was ihnen geschrieben wird).
Warum wählen also die zwei Klassen-Clowns dieses spezifische Aufklärungsformat, bei dem die Aufklärung auf den Schultern derjenigen lastet, die die Gewalt erfahren haben? Und die gewaltausübenden Personen, völlig entgegen der Realität institutionalisierten Sexismus bei ihrem Arbeitgeber ProSieben, ein paar ‹bad apples› sind?
Es handelt sich um eine für die aktuelle Verhandlung sexualisierter Gewalt übliche Arbeitsteilung: Opfer_ÜbErlebende sollen erzählen (darüber schrieb ich schon mal im Kontext von #MeToo und Dieter Wedel und die ehemalige Vorständin der freien student_innenschaften Mandy Gratz). Weil es nicht um ein Beenden von Gewalt als vergeschlechtlichende, institutionalisierte Ordnung und Kultur (Rape Culture) geht, sondern um ein Beweisen und Beäugen ihrer Existenz. Und vor allem um ein Herstellen von guten Menschen.
Das ist auch der Grund, warum wir hier nicht lachen dürfen. Wir sehen nicht die feministische Killjoy-Entscheidung, die sagt «Wenn es nicht lustig ist, lachen wir nicht».4 Sondern die Entscheidung für die formale Einhegung weiblicher Beschwerden. Nämlich die Ausrichtung auf einen (so hergestellten) sentimental-kritischen Blick und heteronormativen Zuschauer.
Wie Lauren Berlant in ihrem Aufsatz und später Buch zum Female Complaint (1988) ausführt, müssen Frauen* es vermeiden, als hysterisch diskreditiert zu werden, wenn sie sich über das Leiden, das ihnen ihre Geschlechterrolle beschert, beschweren. Sie werden schon bevor sie sprechen tendenziell hysterisiert, ihre Rede zur übertriebenen Wehklage erklärt.5 In der patriarchalen öffentlichen Sphäre wird weibliches Sprechen unweigerlich delegitimiert. Die große Geste der Good Guys™, den Mädchen* die Bühne zu überlassen, stellt also zugleich eines sicher: das Bündnis mit Männern (wie z.B. Joko und Klaas). Zwar sollen die Frauen* oppositionell – gegen Männer, die Dick Pics schicken, grapschen und vergewaltigen – sprechen dürfen, aber immer noch im Bund (der Ehe?) mit eben jenen bleiben, von denen traditioneller und institutioneller Weise ihre Delegitimation ausgeht: «Unlike other victims of generic social discrimination, women are expected to live with and to desire the parties who have traditionally and institutionally denied them legitimacy and autonomy.» (Berlant 1988, S. 238)
Das im Video hergestellte Subjekt Frau* spricht auf der Bühne und unter dem kontrollierenden Blick des Mannes*, der ihr (potentieller) Liebhaber sein soll, der in vielen Fällen beim Fernsehen neben ihr auf dem Sofa sitzt, und sich als Zuschauer nicht über die Maßen angegriffen fühlen will!; und dessen Zustimmung sie brauchen, um legitimiert zu werden. Die Bühne ist wortwörtlich von diesen Good Guys aufgebaut worden, die Produktionsmittel liegen ganz klar bei ihnen. Arbeiten und das heißt öffentlich leiden tun die Frauen*. Für ‹ihn›, für ‹seine› Aufklärung zum besseren Menschen, nach seinen Maßstäben an Unterhaltung, Krassheit und Relevanz wird hier erzählt. Und ‹er› meint nicht bloß alle Cis-Männer, die mit ihren Freundinnen und Ehefrauen fernsehen oder selbst eine Show produzieren, sondern eine Gesellschaft, die auf bestimmte Opfernarrative und Relevanzmaßgaben ausgerichtet ist. Einer dieser Maßstäbe ist Quantität, weshalb die Arbeit, weitere Geschichten zu liefern, unter dem #Männerwelten aufgegriffen wird. Hier zu schreiben, öffentlich zu leiden, folgt einer Form der Beweislast, «ja es ist schlimm, ja mir passiert das auch, ich kann auch eine Erfahrung beisteuern, glaubt ihr uns?».6 (Deshalb bewirbt #Männerwelten auch die Instagram Seite «Antiflirting», dort finden wir jede Menge sexualisierte Gewalt zum Beweis für weibliches Leiden (Triggerwarnung)).
Hieraus entsteht zugleich ein höchst problematischer Bündniszwang. Denn jetzt das Video #Männerwelten zu kritisieren, wird zugleich zur Kritik an denjenigen Menschen, die sich mit ihrer Geschichte in die Öffentlichkeit wagen, umgemünzt. Wenn das Bündnis mit den Good Guys gekündigt wird, wird zugleich ein Bruch mit den Frauen* unterstellt, die zum Teil mit Männern* zusammenleben, die sie als «die Guten» nicht verlieren können, wollen oder dürfen und deren Leiden ja aus feministischer Sicht ohne Frage relevant sein muss. Ein Leiden, über das in feministischer Tradition eine weibliche Identifikation stattfinden soll (vgl. Berlant 1988). Die Konstruktion der Einheit «Frau», die sich sowohl über geteiltes Leiden als auch qua patriarchal kodiertem, biologischem Geschlecht identifikatorisch herstellt, ist dabei aus (queer)feministischer und intersektionaler Perspektive höchst problematisch. Und zugleich nicht leichtfertig aufzugeben. Die Good Guys zu problematisieren heißt auch zum Problem zu werden, für das Selbstbild der Männer* und für die Idee der emanzipatorischen Verbreitung von Leiderzählungen – das kommt selten gut an.
4. Ist das noch gut gemeint oder schon Rape Culture?
Das ganze Video wird als Museumsbesuch inszeniert. In #Männerwelten, auf der Bühne der Aufmerksamkeit zur TV-Primetime, stehen junge Frauen* und erzählen von Gewalterfahrungen – liefern eine gute Show, die überzeugen und schockieren muss. Sie stellen sich tapfer Kamera- und Zuschauerblicken, werden abgefilmt, während sie direkt oder im Voice Over erzählen, wo und wie sie gegen ihren Willen angefasst wurden. (Aufforderung zum Selbsttest: machen Sie das mal nach und spüren Sie in sich rein, wie ermächtigend sich das anfühlt.)
Das erinnert an die Tradition der Freak Show: Hereinspaziert in den Trauma Zoo, let them entertain you! (Hierzu siehe Gay, Roxane and Tressie McMillan Cottom, Terese Mailhot, Abrey Hirsch, Saeed Jones, Writing Trauma: A Panel Discussion Conceptualized by Roxane Gay, Yale University).7 Am Ende zeigt das Ausstellungsvideo die Kleidungsstücke, die ÜbErlebende_Opfer trugen, als sie vergewaltigt wurden, um die übliche Frage, «was hatte sie an?» zu entkräften, die ÜbErlebenden sexualisierter Gewalt die Schuld zuweist, sie slutshamed und ihnen ‹falsche› Signale unterstellt. Die Kleider hängen an strahlend weißen Schaufensterpuppen ohne Köpfe (es ist eine Inszenierung in Kooperation mit Terre des Femmes). Wir betrachten also Puppen, während weibliche Stimmen in Ich-Erzählung die Gewalt erzählen, die sie zum Sexobjekt degradierte. Wir blicken auf Puppen (!) als Trägerinnen der Kleider, die die Unschuld der Opfer beweisen. Sie tragen Jeans und T-Shirt – nichts ‹Aufreizendes›.
Die Idee, den gewalttätigen Status von Opfern als Sexobjekt aufzulösen, indem man Puppen in ‹ganz normaler Kleidung› abfilmt, ist in hohem Maße ignorant. Wenn es egal ist, was man trug, dann ist es egal. Dann muss man nicht dezente Kleidung demonstrieren und in einem dunklen Raum, weiße Schaufensterpuppen wie liebe bürgerliche weiße Mädchen platzieren, die blöderweise zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Die Reproduktion des Unschuldsnarrativs ist so naiv-unbeholfen und gleichzeitig unemanzipatorisch rückschrittlich, sexarbeiter_innenfeindlich und von der Heilige-/Hure-Differenz getragen, dass man sie respektlos nennen muss. Wenn man sehr gutmütig ist, nennt man das einen fail.
5. Schluss jetzt. Wir sollten das alles nicht aushalten müssen
Anfänglich standen hier zynische Worte, getragen von der Bitterkeit, die das Video auslöste. Erneut sind viele aufgefordert, ihre Gewalterfahrungen zur Aufklärung der Gutwilligen aufzuzählen. Erneut sind viele aufgefordert, zu akzeptieren, dass die meisten ihre eigene Verstrickung in die Gewalt von sich weisen – dies betrifft alle Gender, denn, wie bell hooks nicht müde wird zu betonen, «patriarchy has no gender».
Ich bin es müde, ich bin es leid, Frauen* überzeugend leiden zu sehen und mich und mein eigenes Erleben des Sexismus und der patriarchalen Gewalt dort einzuschreiben. Ich bin es vor allem auch müde, von Freund*innen zu hören, dass sie von einer neuen #Hashtag-Aktion überraschend getriggert wurden und dann einen Tag, eine Woche nicht arbeiten konnten oder in einen dumpfen Zustand der Gefühlsunterdrückung verfielen. Nichts dazu zu fühlen, ist besser. Das ist nichts für schwache Nerven, haben sie gesagt. Ja, dann macht es anders. Macht es besser. Denn wir haben alle schwache Nerven, wir sollten das alles nicht aushalten müssen.
Gehen wir ins nächste Level. Von ProSieben ist dabei übrigens nichts zu erwarten. ProSieben hat nach eigenen Angaben keine Verantwortung für die #Männerwelten.
Vgl. auch:
- Carolina Schwarz, Nur ein Schlaglicht, in: taz, 14.5.2020
- Regenbogenfranka auf Instagram zur Kooperation mit Terre des Femmes und deren Haltung zu Transgender ("TerfDesFemmes"), 15.5.2020
- Margarete Stokowski, Zeigt her Eure Wunden, Spiegel, 19.5.2020
- 1Die beiden sind als Duo spätestens seit 2012 sehr erfolgreich mit dem Mutproben-Challenge-Game Format Das Duell um die Welt im Fernsehprogramm des Privatsenders ProSieben. Seit 2019 gibt es das Format Joko & Klaas gegen ProSieben, das ebenfalls als Game-Challenge funktioniert.
- 2Zur Schreibweise Frauen*: Ich verwende den Asterisk hinter «Frauen», um damit sprachlich Folgendes anzuzeigen: Wir können Menschen als weibliche lesen; sie können ‹als Frauen› diskriminiert und adressiert werden, ohne dass sie sich selbst als Frau identifizieren. Der Asterisk soll die Tatsache, dass niemand in der Zuschreibung aufgeht, markieren.
- 3Dietze, Gabriele/Strick, Simon: Aufstand der Betamännchen, in: Zeitschrift für Medienwissenschaft, Gender-Blog, 18.12.2017; Strick, Simon: Alt-Right-Affekte. Provokationen und Online-Taktiken, in: Zeitschrift für Medienwissenschaft, Nr. 19: Klasse, Jg. 10 (2018), Nr. 2, S. 113–125
- 4Ahmed, Sara: Feministisch leben! Manifest für Spassverderberinnen, Münster 2017, S. 196.
- 5Berlant, Lauren: The Female Complaint, in: Social Text, No. 19/20, 1988, S. 237-259, hier: 243.
- 6Dank an Mandy Gratz für diese präzise Beobachtung.
- 7Gay, Roxane, Tressie McMillan Cottom, Terese Mailhot, Abrey Hirsch, Saeed Jones: Writing Trauma: A Panel Discussion Conceptualized by Roxane Gay, Yale University, published on YouTube March 18th, 2019.
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