Foto: Hak Untuk Malas [The Right to Do Nothing (2021) – Illustration by Rega Ayundya Putri, Film by Riar Rizaldi
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Leerstellen beschwören
Im Editorial von GAAAP_ The Blog schreiben wir, mit dem Unterstrich die Leerstellen in den Medienwissenschaften und auch Gender Media Studies adressieren zu wollen, ohne den Anspruch zu erheben, Lücken aufzufüllen. Im Gegenteil: Mit der Hinzufügung zweier A’s, die neben Antikapitalismus auf zwei weitere, häufig reproduzierte Leerstellen der medienwissenschaftlichen Auseinandersetzung hinweisen – Antiableismus und Antirassismus –, vergrößern wir im Aussprechen von „GAAAP“ die Lücke. Wir schaffen Raum, um die Abwesenheiten zu markieren. In diesem Raum entsteht Zeit der Reflexion. Die Frage ist, ob auch ein Raum der Kontemplation entsteht. Zu viele Baustellen sind zu bearbeiten, zu viele Notwendigkeiten der Analyse ploppen in Anbetracht des politischen Zeitgeists des Autoritarismus, Retrofaschismus und neoliberal unterfütterten, ableistischem Imperativs der Funktionstüchtigkeit auf. Zeit, um zu Luft zu kommen und konzentriert den Blick auf unsere gegenwärtigen Bedingungen zu richten, ist kaum mehr vorhanden.
Die Ausstellung _Leerstelle: Zeit haben. Zeit zählen. Zeit füllen am Schwulen Museum Berlin kommt daher genau richtig. Die Kurator*innen Todd und Zoya. gönnen uns eine Ruhepause und verknüpfen anhand des Raumsettings, der kuratierten Sound- und Videoarbeiten sowie des Begleitprogramms Nichtstun mit queeren Politiken der Kritik und Reformulierung neoliberaler Hyper-Produktivität. Dabei stellen sie die Frage nach der queer-politischen Radikalität von Pausieren, Langeweile und Träumen nicht das erste Mal, liegt seit den 1960ern mit queer-feministischen Avantgarde-Filmen von Chantal Akerman, Yvonne Rainer, Barbara Hammer audiovisuelles Material der Langeweile1 und des Schlafes vor2 vor, bilden Maya Deren, Jean Cocteau und Kenneth Anger wichtige Referenzen und sind mit dem affective turn in den Gender- und Queer-Studies Theorien zur Auseinandersetzung mit Gefühlen der Unproduktivität zahlreich.
Allerdings ist der Zeitpunkt, an dem sie die Frage und auch Notwendigkeit nach der Leere stellen interessant. In der post-pandemischen Gesellschaft schließlich scheint nicht nur einfach alles wieder auf Geschwindigkeit zurückgesetzt, sondern greift in Anbetracht akzelerierter Mobilisierungen nach rechts ein Gefühl einer verzweifelten Leere um sich, – oder anders ausgedrückt – eines Scheintotseins angesichts zunehmender Ohnmachtsgefühle, linkspolitisch, queerpolitisch, rassismuskritisch nichts mehr ausrichten zu können. Umso wichtiger scheint mir, die Lücke ein weiteres Mal zu befragen. Kann sie ein Ort der recreation sein? Auf jeden Fall und im Rahmen der Vernissage ganz wunderbar mit einer Meditation von Isabelle Dikumbi zur Umsetzung gebracht. Im Verlauf der Ausstellung werden in Entgegnung auf rassialisierte Politiken des Ruhens Relaxation-Workshops für BIPOC bzw. Black Folks only angeboten.
Die Lücke ist aber auch eine Zeit, in der die Pause nicht nur Verweigerung im Sinne von Unproduktivität ist, sondern – wie es die Traumprotokolle der Kurator*innen Todd und Zoya. verdeutlichen – des Träumens. Dabei ist der Traum nicht die Abwesenheit von Trauma. Er ist – der eigenen Vulnerabilität gewahr – die Zone der Verhandlung eines Rechts auf das Nichtstun, das – wie es der gleichnamige Film von Riar Rizaldi im Programm thematisiert – das ganz große Kino der Erfindung einer Welt erlaubt, in der für das Faulsein Lohn gezahlt wird und in der das rassistische Stigma3 in sein Gegenteil verkehrt wird: nämlich in ein Ideal, das die vor allem in Deutschland stets und ständig hochgehaltene Arbeitsmoral in ihrer Maschinenhaftigkeit bloßstellt. Dass es selbst der Protagonist*in des Filmes schwerfällt, einem Recht auf Faulsein Glauben zu schenken, erklärt ihr Flüstern: Es wird brauchen, bis wir es uns trauen laut auszusprechen. Aber jedes Flüstern ist auch eine Beschwörung, deren Anziehungskraft sich zu entziehen schwer fällt.
- 1Johanna Renard: Radical Boredom. Feminist and Queer Politics of Affect in Experimental Film, in: Omar Kasmani et al. (Hrsg.): Nothing Personal ?! Essays on Affect, Gender and Queerness, Berlin: b_books 2022, 49-71.
- 2Jean Ma: At the Edges of Sleep Moving Images and Somnolent Spectators, Oakland: UCPress 2022.
- 3Tung-Hui Hu: Digital Lethargy. Dispatches from an Age of Disconnection, Cambridge: MITPress 2022
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