Frauenwahlrecht und Computerspiel
Simon Strick über Red Dead Redemption
In den USA wurde das allgemeine Wahlrecht für Frauen erst 1920 eingeführt, obwohl einzelne Staaten dies bereits vorher gewährten. In der Folge der Seneca Falls Convention (1848) gründeten sich Frauenrechtsgruppen wie die National Woman Suffrage Association (NWSA) und die American Woman Suffrage Association (AWSA), die sich insbesondere nach dem Bürgerkrieg für eine umfassende Gesetzesänderung einsetzten. In der Argumentation für das Frauenwahlrecht verwiesen Aktivistinnen wie Elizabeth Cady Stanton oftmals auf den Umstand, dass ein zumindest teilweise gewährtes Wahlrecht für afro-amerikanische Männer (15. Amendment, 1870) weiße Mehrheiten gefährden könnte und somit das Recht der weißen Frau auf politisches Gewicht umso nötiger sei. Mit dem 19. Zusatz (1920) wurde das allgemeine Frauenwahlrecht zwar eingeführt, jedoch hatten People und insbesondere Women of Color bis in die 1960er Jahre durch die Jim Crow-Gesetze mit erheblichen rassistischen Maßnahmen zu kämpfen, wie ‹Wahlsteuern› oder literacy tests, insbesondere in den Südstaaten der USA. Die derzeitige Debatte um Voting Fraud und Gerrimandering bei den Midterm-Wahlen in den USA zeigt die Aktualität dieser Mißverhältnisse.
Angesichts der anhaltenden Angriffe auf feministische Errungenschaften von Rechts, die auch in diesem Blog schon Thema waren, ist die Veröffentlichung des Computerspiels Red Dead Redemption 2 in seiner Kommentarfunktion auf gegenwärtige Zustände nicht zu unterschätzen. Das von der Fima Rockstar produzierte Spiel, derzeit das Blockbuster-Game des Jahres, lässt Nutzer_innen in die Figur eines amerikanischen Cowboys schlüpfen, der sich in einer äußerst komplex simulierten Welt der US-amerikanischen Frontier um 1890 bewegen kann. Man schießt und reitet, überfällt Postkutschen, spielt Poker im Saloon und jagt den Bison. Eine Besonderheit dieses Open World-Spiels, in dem Nutzer_innen sich frei bewegen und agieren können, sind die minutiös gestalteten Charaktere, denen der Protagonist begegnet. Diese sogenannten NPCs oder non-player-characters haben ausführliche Dialog-Optionen und sollen die Spielwelt authentisch und bevölkert erscheinen lassen. Rockstar, im Bemühen um historische Akuratesse, hat die Kleinstädte seiner Spielewelt daher auch mit Figuren ausgestattet, die weiße Sufragetten des 19. Jahrhunderts darstellen. Die Nutzer_in kann den politischen Aktivistinnen begegnen, ihren Monologen über das Wahlrecht zuhören und in einer Mission helfen, einen Protest gegen Diskriminierung zu organisieren.
Wie der antifeministische Erdrutsch #Gamergate 2014, in dessen Folge sich auch die sog. Alt-Right neuformierte, gezeigt hat, ist die Vermischung von Computerspielen und Feminismus ein gefährliches Unternehmen. Die in diesem Blog mehrfach besprochenen Gamer und Nerds versammeln und radikalisieren sich mit Vorliebe um antifeministische und misogyne Fronten, denn sie betrachten Frauen und insbesondere Feminismus als kolonisatorische Gewaltregime, die über die angestammten virtuellen Welten der digital natives herfallen. Unterstellt man Rockstar eine Art Feminismus-freundlicher Repräsentationsabsicht – immerhin wurden weiße Sufragetten als wichtiger Teil der eskapistischen Fantasie á la Westworld betrachtet – so tritt aber auch die strukturelle Ambivalenz in Auge: innerhalb der Spielewelt kann die Nutzer_in, oder wohl eher der Nutzer, diese NPCs nämlich auch mit dem Revolver erschießen, mit dem Lasso fesseln, vor einen Zug oder Alligator werfen.
Man bekommt dafür 1,3 Millionen Clicks innerhalb weniger Tage, einen kurzzeitigen Ban auf YouTube, und Kommentare wie jenen von Nutzer_in transsexual hermaphrodite antifa he-she dyke: «I subscribed because SJWs don't like this, and I absolutely hate SJWs.» Nerdtum, Alt-Right, Frauenhass und Antifeminismus hängen zusammen. In digitalen Welten, wo der Nerd sich heimisch fühlt, dienen Blogs, Video-Websiten und Message-Boards als Safe Spaces, in denen sich Maskulinismus und strukturelles Beleidigt-Sein mit symbolischer, sprachlicher oder faktischer Gewalt verbinden lassen. Virtuelle Welten erlauben transgressives Probehandeln vor gleichgesinntem Publikum, sei es in rechtsnationalistischen Foren wie reddit.com/r/the_donald oder auf depressionsfördernden Plattformen der Selbstviktimisierung wie incel.me. Im Digitalen lassen sich Fantasien der Ermächtigung und der Rebellion ausleben, die mittlerweile (oder vielleicht schon immer) ins Reale überschwappen (vgl. Strick, Alt-Right-Affekte, ZfM 19). Das «Annoying Feminist»-Video setzt eine lange Reihe von virtuellen ‹Gewalt-Witzen› fort, die den Möglichkeitsraum des Computerspiels zur rassistischen und sexistischen Trangression nutzen. Nicht nur angesichts der hier nicht aufzählbaren terroristischen Akte einzelner Männer – school shootings und killing sprees – gegen verschiedenste Minderheiten und Menschen sind diese nicht witzig. Vielmehr supplementieren sie auch das online grassierende Genre des «Feminist Destroyed in Debate»-Videos, mit dem weiche und harte Vertreter_innen der Alt-Right – hier z.B. Jordan Peterson – ihre Diskurshoheit durchsetzen wollen. Red Dead Redemption bietet hier einen diskursiven Spielplatz für die weniger bis gar nicht Wortgewandten.
Man kann in Red Dead Redemption 2 im Übrigen auch Mitglieder des Ku-Klux-Klan finden und erschießen, und sowieso alle anderen auch. Dies ist die einzige Form von Equality, die im Egoshooter-Weltbild der Alt-Right Bestand hat. Für sowas kämpft niemand.
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