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Aus: Paul Preciaodo, Testo Junkie

Aus: Paul Preciaodo, Testo Junkie

GAAAP_ The Blog

Antigender in der FAZ – Es lebe die Situierung des Diskurses!

Eine Replik auf Judith Basad von Julia Bee

25.11.2018

Der Artikel von Judith Basad in der FAZ vom 22.11.18 mit dem Titel «Es lebe die penetrative Energie!» bringt Gender Studies («die» Gender und Postcolonial Studies) in die Nähe eines gewaltverherrlichenden Diskurses. Er reiht sich ein in eine Gruppe von Artikeln, die Gender Studies wiederholt angreifen und eine intersektionale Kritik an einem Othering von Sexismus und sexueller Gewalt gegen Frauen* scharf angreifen(vgl. auch die sogenannte Beißreflexe-Debatte). Unabhängig von meiner Zustimmung oder Ablehnung des Werkes einzelner genannter Autor*innen lässt sich hier ein Muster der Abwehr von Gender Studies beobachten.

Die Sprache, wie sie der Artikel genussfähig macht, kann fatale Folgen in der öffentlichen Wahrnehmung der Gender Studies über die einzelnen Wissenschaftler*innen hinaus nach sich ziehen. Doch viel folgenschwerer wiegt die Abwehr und das Abjektmachen der Untersuchung von Gewalt selbst, vor allem aus geschlechtertheoretischer Perspektive – denn diese wird hier mit einem Befürworten dieser sprachlich und thematisch verknüpft. Die sprachliche Gewalt und die aufgeladenen sprachlichen Bilder, die evoziert werden sollen – etwa, dass die Gender Studies Denker*innen eine gewalttätige Penetration tätigten mit ihrer Forschung (siehe Titel des Textes) oder Beschneidung befürworten – sind geeignet, nicht nur die Betroffenen zu diskreditieren, sondern das Nachdenken über die gegenderte Dimension von Gewalt zu einem Tabu zu erklären. Das Nachdenken über Gewalt goutiere diese der Autorin zufolge selbst: Indem es Gewalt aus geschlechtertheoretischer Sicht beschreibe, euphemisiere das Nachdenken Gewalt und verliere einen von der Autorin vorausgesetzten moralischen Kompass.

Selbst die kritische Exegese von Büchern wird diskreditiert, etwa indem der Humboldt Universität vorgeworfen wird, sich in einer Lehrveranstaltung überhaupt mit einem bestimmten von der Autorin als «gefährlich» betitelten Werk zu beschäftigen. Basad schreibt: «Diese fragwürdige Haltung gegenüber Suizidattacken sind in diesem Wintersemester sogar Lehrgegenstand an der Humboldt Universität Berlin.» Warum ist die Beschäftigung mit einem Werk bereits eine «fragwürdige Haltung»? Ein Text kann zunächst auf verschiedene Weisen untersucht werden, ohne seine Inhalte zu übernehmen. Dies zu diskreditieren ist erst einmal selbst fragwürdig.

Es ist schwer, auf wissenschaftliche Weise zu antworten, wenn Wissenschaft so grundlegend in Frage gestellt wird wie in diesem Artikel. Man wird quasi eingeladen, ja aufgefordert dazu, sich in der Dekonstruktion der vielen vermischten Affekte zu verirren.

Hier wird bildgewaltig Schaden an «den» Gender Studies sowie an «der postkolonialen» Theoriebildung erzeugt, wie er momentan aus verschiedenen Richtungen kommt. Der «toxische Feminismus», wie ihn Sabine Hark und Paula Irene Villa in Unterscheiden und herrschen bezeichnen (vgl. hier im Blog), spielt in dem Artikel auch Ängste aus – Selbstmordattentate würden angeblich heruntergespielt, wenn bereits das Sprechen und der Diskurs über diese betrachtet würde. Gender Studies wirken in Basads Beitrag wie eine universelle Relativierung der Moral durch Theoriebildung, nämlich indem sie Modelle anbieten, globale Gewalt multidisziplinär und mehrschichtig zu beschreiben. Und dies heißt eben auch aus geschlechtertheoretischer und kolonialismuskritischer Perspektive, die die Projektion von Gewalt auf andere Gruppen als die Herkunftsgruppe reflektiert. Diskurse von Feminismus und Kolonialismus zu verschränken, wird so gleichgesetzt mit einem Verlust des moralischen, universell gültigen Kompasses.

Neben den vielen aus dem Zusammenhang gerissenen sowie konträr gedeuteten Theoriefragmenten (von Irigaray bis Butler!), scheint es besonders Theorie an und für sich zu sein, die zum Feindbild erklärt wird. Vor allem die grundlegende Einsicht, dass das Sprechen über Gewalt an Frauen* auch mit anderen gewalttätigen Diskursen verknüpft sein kann, welche nicht die Erfahrung der Frauen* relativieren, sondern den Diskurs der Veranderung von (sexueller) Gewalt untersuchen. Dies heißt, den Artikel auch in einem Zusammenhang mit der Thematisierung der Gewalt anderer zu sehen, während in Deutschland jüngst die Zahl 147 veröffentlicht wurde, die Zahl der durch Männer in Beziehungen getöteten Frauen im letzten Jahr.

Das heißt auch die Sprecher*innenposition eines Sprechens über Gewalt mitzubedenken. Die Untersuchung dieser mehrschichtigen Praktiken des Sprechens über Gewalt kann nicht universell als Relativierung bezeichnet werden. Das politische eindeutige Verurteilen von Genitalverstümmelung, auf die Basad sich bezieht, kann nicht mit dem wissenschaftlichen Sprechen in eins gesetzt werden auch wenn beides natürlich Folgen aufeinander zeitigt.

Nicht mehr nur, so die Stoßrichtung des Beitrags, wirkt Theoriebildung relativierend, eine beliebte Sprachfigur des antiwissenschaftlichen Diskurses, sondern die Gewalttätigkeit der Gender Studies selbst evoziert. Es werden Phantasien von gewalttätigen, bevormundenden und letztlich willkürlich agierenden Gender Studies genießbar gemacht. Etwa wenn Positionen wiedergegeben werden, die Gender Studies mit einer Fürsprache für Genitalverstümmelung in Verbindung bringen, was etwas Anderes ist als den diskursiven Zusammenhang des Sprechens über Genitalverstümmelung zu untersuchen. Butlers Arbeit wird direkt nach einer einem Artikel genannt, der sich der Autorin zufolge nicht eindeutig gegen Beschneidung positioniert, obwohl dieser ein ganz anderes Thema hat, lose verbunden mit der Aussage: «... auch Judith Butler legt sich in Raster des Krieges mit der Moral an.» Dass es eine Moral zu geben scheint, bleibt hier ebenfalls unhinterfragt. Hier wird an eine Art gesunden Menschenverstand appelliert, der immer schon weiß, was falsch und richtig und was Mann und Frau sei. Wozu denn dann noch Gender Studies, diese Infragestellung schließt sich scheinbar logisch an.

Zentrales Mittel des Textes ist es dabei, Beschreibungskategorien als positiv und faszinatorisch auszulegen, etwa Jasbir Puars Begriff der «terroristischen Assemblage» aus dem gleichnamigen Buch. Damit beschreibt Puar Gewalt, das heißt aber nicht, dass sie diese euphemisiert oder relativiert. Ich halte diese bewusste ‹Perversivizierung› von Denker*innen für sehr gefährlich, da so auch ein Affekt erzeugen werden soll gegen die Arbeiten, die sich genau dieser Schnittstelle von Sexualität und Gewalt widmen. Puars Verwendung des Begriffes queer bezieht sich vor allem auf die Notwendigkeit, neue Kategorien zu bilden bzw. auf die Nichteinortenbarkeit der Gewalt, und fungiert nicht als positiv wertende Beschreibung von Selbstmordattentaten. Puar geht es darum, dass das Queere dem Attentäter selbst zugeschrieben wird, um es so in der öffentlichen Wahrnehmung mit einer nonkonformen Sexualität zu verknüpfen.

Basad schreibt: »Im ‹Wissensobjekt Selbstmordattentat› werden nicht etwa die Anschläge der Hamas, des IS oder der Taliban verurteilt, sondern Bilder von Selbstmordattentätern, die auf Covern der westlichen Fachliteratur zu sehen sind.» «[...] Nicht etwa werden die Anschläge verurteilt» zielt bereits auf eine Fragestellung etwa im Bereich der Bildanalyse, die sich an das notwendig zu untersuchende Imago von jeglicher Gewalt anschließen würde; Basad unterstellt, dass die Autorin diese nicht verurteilen würde.

Die Analyse von Gewalt jenseits ihrer Verurteilung wird damit tabuisiert, indem diese in dem Artikel nur mit einer perversen Sexualität verknüpft wird. Dies ist über die Gender Studies hinaus eine Dynamik, die auch den Ausschluss derjenigen nach sich zieht, die Gewalt erleben – etwa Menschen, die vor Folter, Repression und Krieg fliehen. Hier wird ein Tabu darüber verhängt, Gewalt, angemessen multidisziplinär, auch in den und aus Sicht der Gender Studies zu behandeln.1

Die Phantasie, die hier genutzt werden, mobilisiert Energien für ein transphobes, xenophobes Denken (die Aussage «ein antiwestlicher Diskurs wird etabliert» – nimmt deutlich Anklang an die sogenannte «Diskriminierung von Deutschen») und nutzt Opferidentifizierung, um sie zusätzlich gegen Gender Studies zu kanalisieren.

Es handelt sich um eine höchst bedenkliche Vermischung von Ressentiments, die geschickt einander verstärkend eingesetzt werden: Angst vor Gewalt und Angst vor Manipulation durch Institutionen, mit denen die Gender Studies gleichgesetzt werden, die scheinbar einen Willkürdiskurs fahren – etwa indem der Artikel Irigaray, Beschneidung und Selbstmordattentate verknüpft, oder indem die Autorin des als bereits schockierend dargestellten Buches als Preisträgerin des Caroline von Humboldt Preises vorgestellt wird.

Mit dem Artikel werden zentrale Akteurinnen dieses heterogenen Faches herabgewürdigt, ihre Aussagen verdreht und bewusst für etwaige Ressentiments vorbereitet. Die Gewalt, die von diesem Artikel ausgeht, operiert in einem Klima der Hate Speech gegen Akteur*innen der Gender Studies. Bedrohungen, Beschimpfungen und Gewalt gegen Denker*innen nehmen zu.

Ein diskursiver Ausschlusses aus dem Bereich des Menschlichen (wie ihn Judith Butler in Raster des Krieges konzeptualisiert hat) verkehrt das Nachdenken über sprachliche Gewalt in ihr Gegenteil, um zu behaupten, Gewalt ginge gerade von diesem Nachdenken über Sprache aus. Dabei ging es Butler nie um eine Rechtfertigung von Selbstmordattentaten, sondern darum zu zeigen, wie der Bereich des Menschlichen durch ein Unmenschlichmachen von Anderen erzeugt wird. Die Untersuchung dieser affektiven und auf die Intelligibilität und Wahrnehmung bezogenen Dynamik ist fundamental, um auch folgende physische Gewalt zu untersuchen.

Noch ein Wort zur Form des Artikels: Das Gefühl, dass man gar nicht weiß, wo man mit der Dekonstruktion anfangen soll, ist nicht zufällig. Hier wird ein Regenguss aus undifferenzierten Argumenten inszeniert. Damit fordert man Gender Studies-Forschende auf, auf wissenschaftliche Weise etwas zu kommentieren, was sich im Kern der Rationalisierung verweigert, auf die man sich angesichts der zugeschrieben Unwissenschaftlichkeit berufen möchte oder soll. Dies ist ein beliebtes Muster des Antigenderismus: Man kann ZUGLEICH Wissenschaft ablehnen sowie wissenschaftliche Verfahren der Antiwissenschaftlichkeit bezichtigen.

Nicht zuletzt sabotiert die Sprechweise über Gender Studies, wie sie hier umstandslos aus ganz verschiedenen Fachrichtungen und mehreren Jahrzehnten homogenisiert werden, den selbstkritischen und reflexiven Diskurs der Gender Studies. Die Verteidigung des eigenen wissenschaftlichen Status' macht die eigene kritische Haltung gegenüber der Institution Universität bzw. das Bemühen, aus einer u.a. westlichen Situierung heraus zu denken, tendenziell unsichtbar. Was folgen könnte, sind Überidentifikationen mit der Institution, wenn Grundlagen der Freiheit von Wissenschaft und Lehre immer wieder verteidigt werden müssen und dabei die eigene Selbstreflektion notwendig zurückstecken muss – und damit wird eine Institution immer wieder aufgeladen, zu der man als Frau* (und natürlich aus Sicht zahlreicher anderer historisch Ausgeschlossener) ein ambivalentes Verhältnis hat. Dies resultiert aus der notwendigen Selbstkritik aller Wissenschaft, da sie immer mit Deutungshoheit und (symbolischer) Macht operiert. Dennoch gilt es, sich gerade aus Sicht der Gender (Media) Studies für diesen pluralen, unabschließbaren Prozess stark zu machen.

 

Bevorzugte Zitationsweise

Bee, Julia: Antigender in der FAZ – Es lebe die Situierung des Diskurses!. Eine Replik auf Judith Basad von Julia Bee. In: Zeitschrift für Medienwissenschaft, ZfM Online, GAAAP_ The Blog, , https://zfmedienwissenschaft.de/online/antigender-der-faz-es-lebe-die-situierung-des-diskurses.

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