2-Pfade-Plus-Modell
Ein Weg zu zeitgemäßer Postdoc-Beschäftigung
Die Beschäftigungsstruktur des wissenschaftlichen Personals an den Hochschulen in Deutschland stellt international einen Sonderfall dar1. Vor allem ist die Zahl befristet Beschäftigter überdurchschnittlich hoch. Lange Zeit war Befristung gerade Mittel zum Zweck (Stichworte: «Zustrom junger Wissenschaftler und neuer Ideen» und «Erstarrung» der Forschung),2 aber die strukturellen Schattenseiten dieser Situation wurden zuletzt immer breiter und deutlicher artikuliert,3 auch in dieser Zeitschrift. Konkrete Ansätze zur Änderung der Schieflage bleiben schwierig zu finden, u.a. weil das Problem auf zwei miteinander verbundenen Ebenen liegt. Ursache ist zum einen eine Beschäftigungsstruktur, die stark auf die Professur als alleiniger Trägerin eigenständiger wissenschaftlicher Arbeit ausgerichtet ist, und zum anderen das Arbeitsrecht mit besonderen Befristungsmöglichkeiten für die Wissenschaft. Meist wird derzeit versucht, mit Kritik und Forderungen allein auf der Ebene des Arbeitsrechts anzusetzen. Dies auch, weil in dem föderal verantworteten Wissenschaftssystem ein direktes Ansetzen an der Beschäftigungsstruktur, bspw. durch Vorgaben zu Stellenkategorien durch den Bund, versperrt ist. Dabei ist diese Ebene ebenfalls entscheidend.
Im Folgenden Beitrag möchte ich einen möglichen Weg in eine zeitgemäße Beschäftigungsstruktur aufzeigen, der beide relevanten Ebenen adressiert. Ausgangspunkt ist eine Debatte an der Humboldt-Universität zu Berlin, die durch die Neuauflage des Berliner Hochschulrahmengesetzes 2021 angestoßen wurde. Das Gesetz hat einigen Aufruhr erzeugt, u.a. hat es die damalige Präsidentin der Humboldt-Universität zum Rücktritt bewogen. Urteile in zwei Klagen vor den Verfassungsgerichten sind noch ausstehend. Anstoß genommen wurde vor allem an einer folgenschweren arbeitsrechtlichen Vorgabe für Verträge mit promovierten Beschäftigten (§110 Absatz 6 Satz 2). Laut Gesetz ist hier nun zwingend eine so genannte Anschlusszusage zu vereinbaren. Ohne eine solche Anschlusszusage auf eine unbefristete Stelle kann mit promoviertem wissenschaftlichem Personal auf Qualifikationsstellen kein befristeter Vertrag mehr vereinbart werden. Nach den Neuwahlen in Berlin hat die neue Regierungskoalition einen Aufschub des Inkrafttretens dieses Absatzes bis zum 01.04.2025 beschlossen. Nach wie vor ist offen, ob das Inkrafttreten erneut verschoben wird. Aber das Gesetz hat schon jetzt den Impuls gegeben, Debatten anders und konkreter zu führen. Ein Ergebnis ist das so genannte «2-Pfade-Plus-Modell» das an der HU Berlin in einem längeren Diskussionsprozess unter Beteiligung aller Statusgruppen in einer Arbeitsgruppe des Präsidiums entwickelt wurde. Es wurde im Akademischen Senat am 19.07.2022 mehrheitlich als Umgangsweise der HU mit dem veränderten BerlHG verabredet. Das Modell adressiert beide für die besondere Schieflage der Personalstruktur an den Hochschulen in Deutschland relevanten Ebenen der Stellenprofile und des Arbeitsrechts und kann damit auch jenseits von Berlin einen Weg in eine zukunftsfähige Beschäftigungsstruktur anregen. Es soll nachfolgend skizziert werden.
Eckpunkte 2-Pfade-Plus
Grundlegend ist die Überzeugung, dass es in der heutigen Situation an der Zeit ist, das «wissenschaftliche Erwachsenwerden» konsequent nach vorne zu ziehen. Eine Phase des «Zustroms junger Wissenschaftler und neuer Ideen», wie es seit 1984 heißt, mag für universitäre Forschung und Lehre sachdienlich sein und ist in bestimmtem Maße zu begrüßen. Allerdings werden die vielfältigen Nachteile gravierend, falls diese Phase bis in die Lebensmitte der Beschäftigten hinein andauert. Ansatzpunkt des «2-Pfade-Plus-Modells» ist es daher auf der Ebene der Personalstruktur, die Trennung zwischen der Phase der Qualifizierung (Prädoc und frühe Postdoc-Phase) und der Phase eigenständigen wissenschaftlichen Arbeitens (Postdoc, Professur) deutlicher zu machen. Im Kern geht es darum, alle Postdoc-Beschäftigungen aus Haushaltsmitteln nur noch als Dauerstelle auszugestalten. Dabei können zwei unterschiedliche Pfade gewählt werden: Entweder der Weg in eine Professur (W1 mit Tenure Track, Bewährungsfeststellung nach vier Jahren, danach W2/W3), oder der Pfad einer von Beginn an entfristeten Stelle im Mittelbau (Dauerstelle sofort mit der Einstellung, keine Bewährungsfeststellung, verbindliche Option auf Freistellung und ggf. anschließende Aufwertung).
Pfad 1: Tenure-Track-Professur
Der erste Pfad – Tenure-Track-Professur – entspricht dem international etablierten Karriereweg. Wissenschaftler:innen erhalten auf diesen Stellen bereits kurz nach der Promotion die Möglichkeit, sich in selbstständiger Forschung und Lehre zu bewähren. Nach vier Jahren erfolgt eine Bewährungsfeststellung die – bei positiver Evaluation – in einer unbefristete W2- oder W3-Professur mündet. In diesem Fall ist eine Bewährungsfeststellung anders als beim zweiten Pfad gerechtfertigt. Festgestellt wird hier die Bewährung zu einer Professur. Diese hat zusätzliches Gewicht für die Entwicklung des Fachs (Gutachter:innentätigkeit, Gremien, Rolle in Berufungskommissionen). Es hat sich bewährt, dass diesen weitreichenderen Befugnissen ein aufwändiges Berufungsverfahren vorgeschaltet wird. Das Tenure-Verfahren ist dazu äquivalent und darauf soll bei Pfad 1 nicht verzichtet werden. Für die Institute ist dieser erste Pfad durch die Aussicht auf zusätzliche Professor:innen, ggf. mit internationalem Profil, reizvoll. Aufgrund der anfänglichen Bewährungsphase mit W1-Gehalt sind diese Stellen im Vergleich zu regulären W2/W3 Professuren günstiger. Bei gleicher Mittelausstattung können Institute die Gesamtzahl der Professuren dadurch leicht erhöhen.
Noch deutlich weniger Ressourcen sind für den zweiten Pfad nötig (der gültige Wandlungssatz an der HU setzt eine W1-Tenure Professur mit 1,6 Postdoc Stellen gleich). Hier wird eine promovierte Person als wissenschaftliche Mitarbeiter:in von Beginn an dauerhaft eingestellt.
Pfad 2: Dauerstelle
Warum aber für Postdocs auf Pfad 2 (ohne Option auf Professur) gleich eine unbefristete Dauerstelle und nicht bloß befristet mit Anschlusszusage als der weniger gravierende Schritt? Dagegen sprechen die im Folgenden ausgeführten sachlichen, institutionellen und systematischen Argumente:
Sachlich ist die Befähigung zu eigenständigem wissenschaftlichem Arbeiten mit der Promotion bereits demonstriert. Die Bewährungsfeststellung ist hier nicht notwendig, da es gerade nicht um eine Professur (mit besonderem Gewicht für das Fach) geht (s.o.).
Institutionell müsste sich eine Bewährungsfeststellung auf dem Postdoc-Pfad auf einen geringeren Umfang von Leistungen beziehen als im Fall des Tenure-Track-Verfahrens, denn sonst wäre die Feststellung der gleichen Leistungen einmal Grund für die Vergabe einer Professur, im anderen Fall für die Vergabe einer Postdoc-Dauerstelle. Praktisch wird es aber schnell problematisch, dann noch geeignete Kriterien zu finden bzw. die Kriterien werden relativ beliebig. Schon jetzt überwiegt eine positive Evaluation im Tenure-Track-Verfahren bei Professuren (über 90%). Mit einem weniger aufwändigen Verfahren im Postdoc-Bereich ist eine negative Entscheidung noch schwerer zu rechtfertigen bzw. noch unwahrscheinlicher. Der Aufwand für das Verfahren (Kommission, Gutachter:innen, Berichte) ist dann nicht mehr sachgemäß. In der zunehmend stärkeren Konkurrenz um gut qualifizierte Arbeitskräfte und angesichts des demographischen Wandels sind Stellen mit unsicherer Perspektive ein zunehmend relevanter Wettbewerbsnachteil. Institutionell effizienter und strategisch klüger ist es, die Hürde bei der Einstellung hoch zu hängen und dann ohne Einschränkung und weitere Verfahren eine Dauerstelle zu vergeben.
Eine frühe Klarheit stärkt schließlich auch systematisch gute Wissenschaft. Hier sind Befunde der Hochschulforschung zu den negativen Wirkungen von Befristung auf Qualifizierung und Qualität wissenschaftlicher Arbeit schlagend.4 Befristung und Bewährungsfeststellung haben z.B. den Hang zu so genannten perversen Lerneffekten. Im Zentrum der Anstrengungen stehen dann die Messkriterien selbst (z. B. Zahl der Zitationen) und nicht mehr der Gegenstand (substantielle wissenschaftliche Veröffentlichungen).5 Dadurch wird z. B. auch der Hang zu Input-orientierter Arbeit gefördert. Das Einwerben von Forschungsgeldern ist bereits der Erfolg, die sinnvolle Arbeit mit diesen Geldern bleibt dann zweitrangig. Dauerhafte Perspektiven ermöglichen dagegen den Aufbau von längerfristiger Expertise und die Weiterverwendung von Forschungsergebnissen. Dadurch wird eine ergebnisorientierte Wissenschaft gefördert.
Postdocs auf Pfad 2 (Dauerstelle mit Aufstiegsoption) werden also konsequent als zu eigenständiger wissenschaftlicher Arbeit qualifizierte Personen behandelt und bekommen entsprechend mit der Einstellung eine Dauerstelle. In diesem Punkt erzwingt das Modell ein entscheidendes Umdenken von Qualifizierung im Postdoc-Bereich.
Plus-Option
Neben einer unbedingten dauerhaften Einstellung von Postdocs (aus Haushaltsmitteln) ist das zweite entscheidende Merkmal des zweiten Pfads die «Plus-Option»: auch für entfristete Postdocs soll es Raum für Weiterqualifizierungen und Aufstiegschancen geben. Wird von Institut und Stelleninhaber:in eine eigenständige Tätigkeit in Forschung oder Lehre im Mittelbau angestrebt, soll eine zeitweise Deputatsreduktion zur Weiterqualifikation beantragt werden können, verbunden mit einer gegenüber dem Institut zu verabredenden Zielvereinbarung. Werden diese Ziele erreicht, kann die Weiterbeschäftigung als selbstständig arbeitender «Researcher» oder «Lecturer» erfolgen. Dadurch können anders als bei bisherigen Dauerstellen im Mittelbau ohne Entwicklungsmöglichkeiten Potentiale bestmöglich ausgeschöpft werden. So kann die Plus-Option z. B. genutzt werden, um zu einem späteren Zeitpunkt Berufungsfähigkeit (zweites Buch, Drittmittelprojekt, Aufsätze) zu erlangen. Dadurch werden individuelle Karrieren ermöglicht, die sich erst später in Richtung Professur orientieren, weil es zuvor z. B. Care-Verpflichtungen gab.
Ein solches «2-Pfade-Plus-Modell» der Beschäftigung im Postdoc-Bereich lässt sich bereits jetzt und auch auf der Ebene von einzelnen Instituten verabreden. Die rechtlichen Voraussetzungen sind gegeben (Tenure-Track-Verfahren in Pfad 1, Dauerstelle im Mittelbau in Pfad 2). Details zu Zielvereinbarung, Deputatsreduktion und anschließender Weiterbeschäftigung als Lecturer oder Researcher sind noch festzulegen.
Fazit
Die Verabredung zu diesem Modell bedeutet letztlich eine greifbare und von einzelnen Instituten umsetzbare Transformation der Beschäftigungsstruktur an deutschen Hochschulen. Der Effekt ist keine Lösung der Befristungsproblematik. Denn das Modell verteilt lediglich bestehende Gelder um, aber schafft keine zusätzlichen Beschäftigungsmöglichkeiten. Durch Dauerstellen sinkt sogar die Frequenz, mit der Stellen ausgeschrieben werden können. Aber das Modell setzt gleichermaßen an der Beschäftigungsstruktur der Institute als auch an den individuellen arbeitsrechtlichen Bedingungen an und verändert dadurch den Status von Postdoc-Beschäftigten substantiell: Beschäftigte werden in beiden Fällen (Tenure-Professur, Postdoc mit Plus-Option) als eigenständig arbeitende Wissenschaftler:innen mit einer planbaren Perspektive eingestellt. Das Versprechen auf eine wissenschaftliche Karriere wird weniger Personen gemacht, wird aber dafür früher eingelöst. Die begrenzt als W1 vergüteten Professuren ermöglichen zusätzliche Stellen. In der Summe gibt es bei gleichen Mitteln mehr Wege für wissenschaftliche Karrieren auf und neben der Professur. Vielfalt in Forschung und Lehre werden erhöht, da insgesamt mehr Personen mit eigenständigen Forschungszielen an den Institutionen beschäftigt sind. Da die Einstellung von Postdocs nun zwingend auf unbefristete Stellen erfolgt, bekommt diese Entscheidung ein höheres Gewicht, vergleichbar der Entscheidung für eine Professur, und wird daher zukünftig typischerweise von einer statusgruppenübergreifenden Auswahlkommission einer Fakultät bzw. eines Instituts getroffen werden. Sie liegt dann nicht mehr in der alleinigen Verantwortung einzelner Professuren. Das Verfahren ist damit offener und transparenter. Der Übergang von einem hierarchischen Lehrstuhlsystem in eine stärker kollegiale Struktur von insgesamt mehr und eigenständiger arbeitenden Wissenschaftler:innen wird gefördert.
- 1
Reinhard Kreckel: Zur Lage des wissenschaftlichen Nachwuchses an Universitäten: Deutschland im Vergleich mit Frankreich, England, den USA und Österreich, in: Beiträge zur Hochschulforschung, Bd. 1–2, 2016, 12–40.
- 2
Bundesregierung: Entwurf eines Gesetzes über befristete Arbeitsverträge mit wissenschaftlichem Personal an Hochschulen und Forschungseinrichtungen, Bonn 1984. 1–21, hier 6.
- 3
Amrei Bahr, Christine Blume, Kristin Eichhorn, Sebastian Kubon: With #IchBinHanna, German academia protests against a law that forces researchers out, in: Nature Human Behaviour, Bd. 5, Nr. 9, 2021, 1114–1115.
- 4
Mathias Kuhnt, Tilman Reitz, Patrick Wöhrle: Arbeiten unter dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz: Eine Evaluation von Befristungsrecht und -realität an deutschen Universitäten. Dresden 2022. https://doi.org/10.25368/2022.366.
- 5
Angela Bogwardt: Die Tenure-Track-Professur: Impulsgeberin für das deutsche Wissenschaftssystem. in: Uwe Cantner u.a. (Hg.): Dokumentation der gleichnamigen Tagung vom 29.09–30.09.2020 in Berlin, Jena 2021, https://doi.org/10.22032/dbt.49262.
Bevorzugte Zitationsweise
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