Interfaces | Plattformen
Call for Papers: INTERFACES | PLATTFORMEN als PDF
Interfaces relationieren: Die digitale Gegenwart basiert auf einem Komplex von Interfaces, die dafür sorgen, dass menschliche und mehr-als-menschliche Operationen fluide ineinandergreifen und Wirklichkeit gestalten. Das zeigt sich insbesondere in der zunehmenden Bedeutung von Plattformen, die mehr und mehr zu Infrastrukturen ökonomischer und sozialer Verhältnisse sowie ästhetischer und epistemischer Prozesse werden. Interfaces stiften Verbindungen auf allen (präsenten und verborgenen) Ebenen in, zwischen und zu Computern, die heute für das Funktionieren von Plattformen und digitalen Technologien in ihren diversen Formen, Einbettungen und Vernetzungen nötig sind.
Die Reduktion sichtbarer User Interfaces geht dabei mit einem exponentiellen Wachstum anderer Formen von Interfaces einher – insbesondere Application Programming Interfaces (APIs) und Sensoren. So werden etwa mikrotemporale und affektive Capture-Mechanismen in das User Experience Design einbezogen, sodass Interfaces vermehrt unmerklich operieren. Seit Mitte der 2010er Jahre hat sich die wachsende Aufmerksamkeit für die Materialität und Funktionalität von un/bemerkbaren Interfaces in den Forschungen zur Plattformisierung,1 der App Studies und im Feld der Interface-Analysen als produktiv erwiesen.
Interface-Prozesse lassen sich auf unterschiedlichen Ebenen beschreiben: Sie regeln und normieren die Beziehungen zwischen Software, Hardware, User*innen und der Welt außerhalb von Computern u. a. als User Interfaces, APIs, Kabel- bzw. Funkverbindungen und Sensoren. Ein Interface ist dabei immer auf Prozesse anderer Interfaces angewiesen. So ist der Begriff «Interface» seit Anfang der 2010er Jahre international zu einem wichtigen medienwissenschaftlichen Konzept avanciert, dessen Potenzial für die deutschsprachige Medienwissenschaft noch lange nicht ausgeschöpft ist. Sein besonderer Vorzug – die dezidierte Relationalität des Konzepts – ruft dazu auf, nach Verhältnissen und Wechselwirkungen zwischen menschlicher und technischer Agency zu fragen.
Wurde der Begriff «Interface» lange Zeit von anwendungs- und designorientierten Ansätzen der Human-Computer Interaction (HCI) dominiert, gewannen Fragen zum Interface gleichwohl auch in medientheoretischen Debatten zur Medialität des Computers der frühen 1990er Jahre Bedeutung. Mit machtanalytischer Aufmerksamkeit werden Interfaces vor allem international in der Tradition der Critical Humanities befragt. Im Zuge dieser Diskussionen wurde der Interface-Begriff historisch-genealogisch situiert, ästhetisch-diagrammatisch ausdifferenziert,2 konzeptionell als «interface effect»3 bzw. als «form of relation»4 dynamisiert, in seiner Funktion für Veralltäglichungsprozesse in digitalen Medienkulturen befragt und als «metainterface»5 vor dem Hintergrund des fortgeschrittenen Plattformkapitalismus kontextualisiert und politisch positioniert. Aktuelle Beiträge insistieren auf der Notwendigkeit einer medienwissenschaftlich informierten Interface-Kritik, die in der Lage ist, den Interface-Komplex in verschiedenen Dimensionen analytisch zu erschließen.
Beispielhaft hängt gerade die laufende Plattformisierung generativer KI in mehr als einem Sinne an Interfaces: Die data work, durch welche gegenwärtig Millionen von prekär beschäftigten Menschen – mit vernetzten Computern und dank Plattformen wie Amazon Mechanical Turk – ihre Arbeit des Annotierens, Prüfens und Erklärens leisten, weist KI als in hohem Maße abhängig von Interfaces aus. Zugleich reagieren Initiativen wie Turkopticon auf die Probleme dieser Plattformisierung und globalen Verteilung von Arbeit durch eine Intervention zugunsten von Kommunikation und Organisation der dezentral Beschäftigten, indem die Turkopticon-API den Arbeiter*innen Zusatzfunktionen zur Ermächtigung innerhalb des Interface der Mechanical Turk-Plattform einräumt.
Eine Analyse und Kritik gegenwärtiger und historischer Interface-Anordnungen, die (entgegen dem Industrieversprechen einer seamlessness) auf Nahtstellen, Relationen und Friktionen der platttformisierten digitalen Gegenwart fokussiert, sehen wir als dringliche Aufgabe für die Medienwissenschaft. Dazu stellen sich u. a. Fragen wie: Welche Interface-Politiken prägen oder unterlaufen den Plattformkapitalismus und hegemoniale Diskursräume der Gegenwart? Wie hängen Prozesse des Sensing und des Interfacing in aktuellen Medienumwelten zusammen, welche neuen Modalitäten der Kooperation mit Formen mehr-als-menschlicher Agency bedingen sie? Und mit welchen Methoden lassen sich präsente und entzogene Interface-Prozesse erforschen? Wir laden dazu ein, die hier skizzierten Problemstellungen im Rahmen von Fallstudien oder mit Beiträgen zu begrifflichen, methodischen und theoretischen Fragen aufzugreifen und weiterzuentwickeln.
Schwerpunktredaktion: Jan Distelmeyer, Timo Kaerlein, Sabine Wirth
Einreichung von Beiträgen (und ggf. Bildmaterial) bis 30.9.2025. Für nicht-deutschsprachige Beiträge gilt eine vorgezogene Frist (Einreichung bis 31.8.2025). Einreichung per Email an jan.distelmeyer[at]uni-potsdam.de.
Texte sind bitte an den Styleguide der ZfM anpassen, der sich hier befindet: https://zfmedienwissenschaft.de/einreichungen. Eine Vorlage zur Beitragseinreichung ist dort ebenfalls zu finden.
- 1
Vgl. Anne Helmond: The Platformization of the Web: Making Web Data Platform Ready, in: Social Media & Society, Bd. 1, Nr. 2, 2015, doi.org/10.1177/2056305115603080.
- 2
Vgl. Johanna Drucker: Graphesis: Visual Forms of Knowledge Production, Cambridge (MA) 2014, monoskop.org/log/?p=16834 (16.4.2025).
- 3
Alexander R. Galloway: The Interface Effect, Cambridge (UK) 2012.
- 4
Branden Hookway: Interface, Cambridge (MA) 2014.
- 5
Christian Ulrik Andersen, Søren Pold: The Metainterface: The Art of Platforms, Cities, and Clouds, Cambridge (MA) 2018.